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Ich kenne dich: parasoziale Beziehungen und ihre Bedeutung im Marketing

Mindestens so wichtig wie die Beziehung zwischen User*innen und Brands ist die Beziehung zwischen Follower*innen und Influencer*innen. Die Besonderheit dieser sogenannten parasozialen Beziehung liegt in der Stärke der Bindung, der Vertrautheit zwischen Influencer*in und Follower*innenschaft, die Marketer*innen vor Herausforderungen stellen kann.

Was sind parasoziale Beziehungen?

Parasoziale Beziehungen sind Beziehungen zwischen Konsument*innen und Prominenten oder fiktiven Charakteren. Von griechisch para = neben kommend, werden sie oft belächelt oder rein in den Kontext von Film- und TV-Fandoms gestellt. Parasoziale Beziehungen sind allerdings nicht nebensächlich, sondern existieren neben anderen sozialen Beziehungen. Die soziale Nähe zu Freund*innen oder Kolleg*innen wird auf ähnliche Art aufgebaut: durch regelmäßige Interaktionen über einen längeren Zeitraum mit einem hohen Maß an Identifikation.

Meist können Fans sich auf regelmäßige Updates verlassen – sie wissen etwa, jeden Mittwochmorgen geht die liebste Instagram Influencer*in live oder bekommen mit, wann die zweite Staffel der beliebten Serie ausgestrahlt wird. Die Regelmäßigkeit des Contents stärkt die Bindung zwischen Follower*innenschaft und prominenter Persönlichkeit.

Intimität auf Distanz

Das Besondere an parasozialen Beziehungen ist, dass lediglich eine Illusion von Intimität entsteht: Fans haben das Gefühl, die Menschen wirklich zu kennen – ohne ihnen je persönlich begegnet zu sein oder geschrieben zu haben. Das Image der Person, also die nach außen kommunizierte Persona, wird mit der Person an sich gleichgesetzt.

Es entwickelt sich dadurch eine Art Safe Space, ein sicherer Ort, an dem sich die Follower*innenschaft aus mehreren Gründen wohlfühlt: Sie interagieren mit Gleichgesinnten, lernen mehr über eine ihnen vermeintlich vertraute Person und können gleichzeitig nicht von den Personas zurückgewiesen werden.

Die einseitige Interaktion zwischen Follower*innenschaft und Persona bedeutet allerdings auch, dass Fans einfacher mit den Beziehungen brechen können. Zwar gibt es nach dem Abbruch von parasozialen Beziehungen auch Trennungsschmerz, da die langandauernde Identifikation und Verbundenheit mit einer Persona zerstört wird, allerdings gibt es kaum Konsequenzen, die aus der Trennung folgen.

Interaktion mit Influencer*innen verwischen Grenzen

Durch die stetig wachsende Social Media Landschaft haben besonders Influencer*innen mittlerweile die Möglichkeit, deutlich mehr mit ihrer Fanbase zu interagieren und sie so anders an sich zu binden. Fans haben Einfluss auf das Leben der Influencer*innen: Sie wählen Tattoos aus, bestimmen das Outfit oder kontrollieren sogar scheinbar einen ganzen Tag im Leben der Influencer*innen. 

Quelle: Eigener Screenshot (Youtube.com)

Subreddits oder Discord-Server locken damit, dass die Influencer*innen womöglich vorbeischauen; Live-Streaming auf Twitch kommen Unterhaltungen zwischen Fans und Persona gleich; Umfragen auf Instagram und TikTok Stitches suggerieren Intimität, die letztendlich (scheinbar) erwidert wird. Die eigentlich klare Linie der parasozialen Beziehung wird verstärkt verwischt – die Beziehung zwischen Follower*innenschaft und Persona ist nicht mehr eindeutig einseitig. 

Wie sich die Beziehung zwischen Follower*innen und Persona entwickelt

Dieser Ausbruch aus dem starren Modell und die Verwässerung der klaren Linie wird von Fans und Follower*innenschaft immer mehr eingefordert. In einer 2018 erschienenen Y-Kollektiv-Doku nennt der Reporter diese noch zynisch ”moderne Litfaßsäulen”. In einem Interview reden die begleiteten Influencer*innen offen darüber, dass sie selbst Marken mit Image und Marketingzielen sind. Um die Marke aufzubauen, braucht es jedoch die Follower*innenschaft, die durch parasoziale Beziehungen gebunden wird – wofür das Verwischen der Grenze zwischen Influencer*in und Follower*innenschaft gelegen kommt.

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Damit wird der Terminus Litfaßsäule widerlegt – denn an eine Litfaßsäule können gedankenlos allerhand Plakate geklebt werden, aber Influencer*innen nehmen nicht gedankenlos allerhand Sponsoren an. Laut einer aktuellen Studie von HypeAuditor arbeiten Influencer*innen auf Instagram durchschnittlich mit einer bis drei Brands zusammen. Das bedeutet, dass sich Influencer*innen ihre Kooperationen bewusst aussuchen – und auch aussuchen müssen. Denn Follower*innen sind Kund*innen.

“Du darfst nicht alles annehmen, […] weil dann wirst du unauthentisch”, sagt ein Fitness-Influencer in der Y-Kollektiv Doku. Wichtig: langfristige Partner*innen finden. Denn nur so können die Follower*innen Vertrauen zu dem Produkt aufbauen – schließlich nutzt es doch jemand, dem sie selbst vertrauen. Wird Vertrauen zu dem Produkt aufgebaut, wird es häufiger gekauft. So erhalten Produkt und Influencer*in mehr Sichtbarkeit, Kooperationen werden gesichert und die Wirtschaftlichkeit steigt auf beiden Seiten.

Authentizität als Schlüssel zum Erfolg

Ist also Authentizität der Schlüssel einer guten und einflussreichen parasozialen Beziehung? 

Unsere house-eigene Studie zum Thema Marketing für die Gen Z zeigt:

“Mit Blick auf Social Media geht es der Gen Z nicht um Personenkult, sondern um den Aufbau von Communitys um bestimmte Interessen und Leidenschaften herum.”

Daran wird wieder deutlich, wie sich die Beziehung von Follower*innen zu Content Creators verändert: Influencer*innen werden als authentischer Teil der Community wahrgenommen, die die Interessen der Follower*innen teilen. Ebenso hat unsere Studie ergeben, dass die Gen Z sich wünscht, ihre Interessen authentisch, ehrlich und zielgerichtet zu teilen – auch mit Influencer*innen.

Digitale Lagerfeuer, an denen Follower*innen und Influencer*innen auf Augenhöhe miteinander kommunizieren, wie etwa in Subreddits, Discord-Servern oder in Live-Streams, sind erwünscht. Sie tragen ihren Teil zur Stärkung der parasozialen Beziehung bei, da die Follower*innenschaft immer mehr das Gefühl bekommt, die Influencer*innen zu kennen, mit ihnen zu harmonieren und auf einer Wellenlänge zu sein. Die Illusion von Intimität wird weniger illusionistisch.

Vor- und Nachteile von parasoziale Beziehungen im Marketing

User*innen sind nicht auf TikTok oder Instagram, um dort gezielt Produkte zu kaufen. Laut OMT funktioniert Influencer*innen-Marketing deswegen nur über das Vertrauen zwischen Fanbase und Persona. 

Da Vertrauen über Authentizität generiert wird, müssen und sollten Influencer*innen authentisch bleiben – sonst riskieren sie einen Bruch mit der Follower*innenschaft, der die eigene Marke ins Wanken bringt.

Chancen für Brands durch parasoziale Beziehungen

Das Potenzial von Influencer*innen mit einer starken Follower*innenschaft ist dementsprechend groß. Passt das eigene Produkt zu dem Image der Influencer*innen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es von den Follower*innen akzeptiert wird. Brands, die neu auf dem Markt sind, können schnell an Visibility und Trust gewinnen. Denn Testimonials von vertrauten Online-Personas sind aufgrund der besonderen parasozialen Beziehung genauso wertvoll, wie Word Of Mouth Empfehlungen von in real life Freund*innen.

Risiken und Nebenwirkungen

Besonders Gen Zler legen einen hohen Wert darauf, dass Marken – also auch Influencer*innen – Stellung beziehen. Die Stellungnahme durch Werbung darf allerdings nicht unauthentisch wirken. Dadurch könnte der Verdacht von performativem Aktivismus entstehen, was dem Bild der Influencer*innen sowie der Bindung von Follower*innenschaft und Persona schaden kann.

Problematisch kann es für Brands werden, wenn die Follower*innenschaft ihnen ein Fehlverhalten gegenüber Influencer*innen zuschreibt oder sich Influencer*innen gegenüber einer Marke negativ äußern. Die parasoziale Beziehung zu den Personas ist so stark, dass Marken dadurch an Reputation verlieren.

Ein Beispiel, wie parasoziale Beziehungen im Marketingkontext funktionieren

Die kanadische YouTuberin Cristine Rotenberg hat auf ihrem Kanal Simply Nailogical 7,7 Milionen Abonnent*innen. Neben ihrem Hauptkanal hat sie weitere Kanäle, aber der der Hauptkanal ist sehr privat. Hier postet die Influencerin unter anderem über ihre gesundheitlichen Probleme oder Videos mit Mitgliedern ihrer Familie. Rotenberg veröffentlichte außerdem ein Video mit ihrer Arbeitgeberin – neben der YouTuberinnen-Karriere geht sie einem klassischen Beruf nach.

2019 veröffentlichte sie ein Video, in dem sie ihre Abonnent*innen durch ihr liebstes Rezept für Overnight Oats führt – das Video wurde nicht gesponsort, aber treue Follower*innen ist die Marke Overnight Oats durch ihre Videos bekannt. Anfang 2021 stellte sie dann ihre eigene Overnight Oats Geschmacksrichtung vor. Der dazu passende Shaker war über Nacht ausverkauft. 

Quelle: Eigener Screenshot (Instagram)

Simply Nailogical ist somit ein klassisches Beispiel für die neue Art von parasozialer Beziehung und den Einfluss auf Marken. Dank ihres authentischen Auftretens, privater Einblicke und Interaktionen mit ihrer Community konnte sie sich eine starke Bindung zu ihrer Follower*innenschaft aufbauen – die letztendlich von wirtschaftlichem Vorteil für Influencerin und Marke war.

Konsequenzen für die Follower*innen

Auf der anderen Seite kann die intensive Beziehung auch für die Follower*innenschaft Konsequenzen haben. Mittlerweile bezeichnen sich viele Influencer*innen als Content Creators – der Begriff Influencer*in ist zu negativ belastet. Einfluss nehmen klingt nach Manipulation – Content Creators hingegen sagen, sie möchte mit ihren Inhalten inspirieren.

Auch wenn die Begrifflichkeiten unterschiedlich sind, im Endeffekt geht es im Influencer*innentum darum, ein wirtschaftliches interesse zu vertreten. Schließlich sind Influencer*innen Brands. Allerdings genießen sie ein weitaus größeres Vertrauen als Brands, wie die Autoren des Buches “Influencer – Ideologie der Werbekörper” im Interview mit Rocket Beans TV erklären. Ihre Follower*innen lassen sich schneller davon überzeugen, Produkte zu kaufen, die nicht immer gesund sind – siehe Detox-Tees – oder bauen ein schlechtes Körperbild von sich selbst auf, da sie konstant mit dem (retuschierten) Perfektionismus auf sozialen Medien konfrontiert sind. 

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Andererseits ist es genau der imperfekte Perfektionismus der Influencer*innen so authentisch macht. In Instagram Lives oder Live Streams kann die Follower*innenschaft eine intimere Seite ihrer Influencer*innen kennenlernen – eine Seite, die sich verhaspelt und nicht immer perfekt aussieht. “Schau, wir sind sind so wie du!” wird den Follower*innen suggeriert.

Anders als bei klassischen Promis ist der Authentizitätsfaktor bei Influencer*innen so deutlich höher. Sie werden perfekter, weil sie es nicht sind. So verschwimmt die Grenze zwischen Image und realer Person immer weiter, was dazu führt, dass die Follower*innenschaft sich noch stärker an die Influencer*innen binden kann und wird. Das imperfekte Umfeld bildet den perfekten Safe Space für Fans. Influencer*innen werden noch nahbarer, noch vertrauenswürdiger, noch mehr Person statt Persona.

Die Authentizität führt dann wiederum dazu, dass die Follower*innenschaft ihnen Werbung nicht als Cash Grab unterstellt, sondern davon überzeugt ist, dass die entsprechende Influencer*in dem Produkt so sehr vertraut, wie die Follower*in ihnen durch die emotionale Bindung vertraut.  Influencer*innen können dank der parasozialen Beziehungen den wirtschaftlichen Aspekt ihres Lebens einfacher verschleiern als Marken.

Fazit

Die parasoziale Beziehung von Follower*innen oder Fans gegenüber Influencer*innen kann nicht mit der Beziehung zwischen Konsument*innen und Brands gleichgesetzt werden. Auch kommt sie nicht an klassische Fan-Promi-Beziehungen heran. Durch das Internet im Allgemeinen und soziale Medien im Besonderen werden die Grenzen einer parasozialen Beziehung zunehmend verwischt. Aus einer einseitigen Beziehung mit klarer Hierarchie wird immer mehr eine beidseitige Beziehung mit Austausch auf Augenhöhe. Influencer*innen antworten persönlich auf Kommentare oder greifen Themenvorschläge aus der Community auf.

So werden Influencer*innen vermehrt zu Freund*innen und Werbung wird zu vertrauenswürdiger Mundpropaganda – die jetzt skalierbar ist. Marketer*innen müssen deswegen bei jeglichen Kooperationen die parasoziale Beziehung mitbedenken. 

Allerdings werden Marketer*innen dadurch zur Verantwortung gerufen: Mit der extremen Vertrauensbasis zwischen Influencer*in und Follower*innenschaft sollte nicht gespielt werden. Spätestens Nano-Influencer*innen haben eine echte und reale soziale Beziehung zu ihren Follower*innen. Jegliche Kooperation zwischen Marke und Influencer*in muss deswegen das Vertrauen zwischen Community und Influencer*in stärken und es nicht für wirtschaftliche Zwecke ausnutzen.

Quellen

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