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Toxische Männlichkeit im Marketing

Die Werbewelt umspielt uns mit unzähligen, teils weiterhin reaktionären Bildern und Aussagen. Sie beeinflussen unsere Wahrnehmung, um uns zum Kauf zu bewegen. Das ist keine neue Erkenntnis, so funktionieren Werbung und Marketing nun einmal. Doch viele Werbetreibende bedienen sich noch immer gängiger Klischees, wie etwa dem problematischen Rollenbild der toxischen Männlichkeit.

In diesem Artikel erfährst du, wie progressiv die Marketingwelt diesbezüglich schon ist und was wir Marketer*innen gegen die Reproduktion von toxischer Männlichkeit tun können.

  • Toxische Männlichkeit ist ein gesellschaftliches Konstrukt, das auf sexistischen und diskriminierenden Vorstellungen beruht. Der Begriff stammt aus den 80er-Jahren und wurde von Frauenrechtlerinnen ins Leben gerufen. Demnach verhalten sich „Männer“ aggressiv und sind hart, während ihnen emotionale Intelligenz und Fürsorglichkeit abgesprochen wird.
  • Marketing und Werbung spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, jene toxischen Männlichkeitsbilder zu reproduzieren. Unternehmen können dazu beitragen, toxische Männlichkeitsbilder aufzubrechen und ein Bewusstsein für die Vielfalt von Geschlechteridentitäten zu schaffen. 
  • Viele Männer machen ihre psychischen Erkrankungen nach wie vor nicht publik. Sie scheinen nicht in das weit verbreitete Bild von Männlichkeit zu passen, weshalb eher auf organische Krankheiten eingegangen wird. Dabei werden rund 75 Prozent der Suizide von Männern begangen.

Was ist überhaupt toxische Männlichkeit?

Gleich vorweg: Toxische Männlichkeit bezeichnet nicht Männer als toxisch, sondern kritisiert das über Jahrhunderte entwickelte Konstrukt von Männlichkeit.

Toxische Männlichkeit ist das Resultat einer heteronormativen und diskriminierenden Gesellschaft. Männer* müssten demnach – schenkt man dem reaktionären Volksmund Glauben – hart und aggressiv sein. Für Liebe, Zärtlichkeit und Verständnis bliebe da kein Platz, erst recht nicht unter- oder miteinander.

Exkurs: Woher stammt der Begriff „toxische Männlichkeit“?

Die Bezeichnung entstand in den 1980er-Jahren, als Frauenrechtlerinnen eine Bezeichnung für vermeintliche Männlichkeitsideale suchten – Ideale, die von Dominanz geprägt sind. Demnach wurden Männer* als „toxisch“ bezeichnet, wenn ihre emotionale Kälte zum Markenzeichen bzw. zum Ideal wurden. Hiermit gemeint sind auch die Verherrlichungen von Aggressionen, Gewalt oder Unterdrückung auf Basis der Geschlechtszugehörigkeit.

Performative Prügeleien in der Schule oder das systematische, gesellschaftliche Ausschließen von vermeintlich Schwächeren dienen unter anderem der aktiven Darstellung von (toxischer) Männlichkeit.

Folgen von toxischer Männlichkeit in der Gesellschaft

Toxische Männlichkeit hat strukturelle Folgen, die weit über den Schulhof hinausreichen: „Männlich“ konnotierte Konstrukte wie beispielsweise die Bundeswehr verzeichnen unter den Soldat*innen nur einen Anteil von 13 Prozent Frauen (Stand: 20. Februar 2024). Warum? Mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wenig Anerkennung gleicher Leistungen und sexuelle Belästigung sind nur drei der zahlreichen Antworten.

Aber nicht nur hinsichtlich der (oftmals) physischen Überlegenheit sind Männer stärker im allgemeinen Berufsleben vertreten. In den sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Natur- und Ingenieurwissenschaften) arbeiten deutlich mehr Männer als Frauen. 2022 betrug der Anteil der in diesem Bereich arbeitenden Frauen 17 Prozent. Im selben Jahr war nur knapp jede dritte Frau Führungskraft, was knapp 29 Prozent entspricht.

Viele Männer besiedeln verantwortungsvolle Berufszweige und Positionen. Auch heute wird die Rolle des „Familienoberhaupts“ oftmals noch „dem Mann“ zugeschrieben beziehungsweise erwartet, dass „der Mann“ die Brötchen verdient. So entsteht der ungesunde Leistungsdruck, abliefern und die Rolle eines „richtigen Mannes“ erfüllen zu müssen.

Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Männern

Und auch was das Seelenheil betrifft, leiden viele Männer oftmals still. Depressionen und andere psychische Erkrankungen scheinen nicht in das männlich konnotierte Weltbild zu passen. Deshalb werden bei Männern seltener psychische Krankheiten diagnostiziert als bei Frauen, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schreibt. 

Das liegt zum einen daran, dass Männer ihre psychischen Probleme vor Ärzt*innen oftmals verdeckt halten. Zum anderen werden eher die körperlichen Symptome thematisiert, weshalb medizinisches Fachpersonal diese Anzeichen eher untersucht und letztlich organische Störungen diagnostiziert.

Wachsen Kinder und insbesondere Jungen in einem für sie schädlichen und toxischen Umfeld auf, besteht die Gefahr, dass sie nicht lernen, auf sich und ihre psychische Gesundheit aufzupassen. Die Fehlinterpretation, dass Gefühle und Emotionen „Frauensache“ seien, trägt mit zu diesem toxischen Rollenbild von Männlichkeit bei.

Wie äußert sich Toxische Männlichkeit im Marketing?

Die britische Band The Cure wusste es (ironischerweise) schon lange – Boys dont cry!

Robert Smith kritisiert in dem Song bereits 1980, wie schwer es sei, sich selbst und anderen (vor allem Männern) gegenüber Schwäche zu zeigen. Tief verwurzelte Sichtweisen tragen auch heute noch in vielen Fällen dazu bei, dass toxische Männlichkeit gelebt und reproduziert wird. 

Eine bedeutende Form der Beeinflussung ist die mediale Bildsprache. In den Posts und Werbeschaltungen von Marketer*innen herrscht leider oft noch der Stereotyp des weißen, heteronormativen Mannes vor.

Diese Darstellung von „der einzig wahren Männlichkeit“ gibt so gut wie keinen Identifikationsspielraum für Männer und männlich gelesene Personen frei, die – in welcher Form auch immer – vom etablierten Stereotyp abweichen.

Als Beispiel können wir uns an dieser Stelle folgenden Werbespot anschauen:

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Der Clip ist zwar schon ein paar Jährchen alt, suggeriert Zuschauer*innen trotzdem (noch) ein toxisches Männlichkeitsbild vom erfolgreichen Geschäftsmann und Sportler – und natürlich sind die Protagonisten des Videos weiß und muskulös.

Gillette hat sich allerdings weiterentwickelt und brachte 2019 einen gegenteiligen Werbespot raus – doch dazu später mehr.

Toxische Männlichkeit im Marketing: Negativ-Beispiele

Wir Marketer*innen tragen bei der Vermittlung und Aufrechterhaltung von Werten und Stereotypen eine nicht zu unterschätzende Verantwortung. Die Firma „Ottakringer“ und der Autor Barthle B. Boss zielen mit folgenden Marketingstrategien auf den vermeintlich „typischen Mann“ ab und bedienen sich so stereotypischen Zuschreibungen von toxischer Männlichkeit:

Zu sehen ist eine Kampagne der Ottakringer Brauerei aus Österreich. Die gesamte Aufmachung wird von einem gelben Hintergrund dominiert, während die Schrift dunkelgrün gehalten ist. Am rechten Bildrand steht eine geöffnete Flasche des Bieres, links daneben prangt, etwas angeschrägt, der grüne Schriftzug in Großbuchstaben: „Männer zeigen keine Gefühle. Sie schlucken sie runter.“ Zuletzt folgt der Werbespruch in kleinerer, schwarzer Schrift: „Erfrischend sensibel. Erfrischend Ottakringer.“ Das Wort sensibel ist dabei in einer Art Handschrift gehalten und trägt dasselbe grün wie der restliche Text.

(Quelle: Screenshot/Der Standard & Screenshot/bücher.de, abgerufen am 20. Februar 2024)

Zu sehen ist ein Screenshot eines Buches des Autors Barthle B. Boss. In weißer Schrift prangt im oberen Drittel die Aussage „Echte Männer essen keinen Tofu“. Darauf folgt ein stilisierter und angeschnittener Block Tofu, welcher von einem roten Kreis umrundet und von einem roten Strich durchkreuzt wird. Zuletzt folgen der Untertitel des Buches: „Der Leitfaden für Männlichkeit“ sowie der Autorenname. Die Schrift ist weiß, der Hintergrund dunkelblau.

Zugegeben: Das sind zwei ziemliche „in your Face“-Beispiele für toxische Männlichkeit im Marketing. Die Häufigkeit derartiger Beispiele nimmt zwar langsam ab, allerdings sollten wir solche Totalaussetzer von Marketer*innen trotzdem nicht unterschätzen. Schließlich unterstützt und reproduziert eine derartige Vermittlung von problematischen Rollenbildern die Existenz von toxischer Männlichkeit in unserer Gesellschaft.

Allerdings gibt es noch weitere, harmlos wirkendere Formen von toxischer Männlichkeit, die sich ihren Weg in die Mitte unserer Gesellschaft gebahnt haben und dort ziemlich fest verankert sind.

Actimel zeigt den unfähigen Vater

Der folgende Werbeclip ist ein Paradebeispiel für toxische Männlichkeit. Der Vater ist unfähig, seinen Sohn für den Kindergarten passend anzuziehen. Daher muss das „natürlich“ die Mutter übernehmen, schließlich sind – wie wir bereits gelernt haben – Emotionen und die Aufrechterhaltung einer intakten Familie „Frauensache“. 

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Dem Mann, der in diesem Fall Herbert heißt und bezüglich emotionaler Intelligenz eher dümmlich dargestellt wird, wird die Fähigkeit abgesprochen, ein fürsorglicher, liebevoller Vater sein zu können. 

Gut. Wir räumen ein, dass der Actimel-Clip bereits mehr als zehn Jahre alt ist. Trotzdem hat sich die Marketinglandschaft bezüglich der Darstellung von toxischer Männlichkeit zum Teil nur bedingt weiterentwickelt.

Edeka verfehlt Muttertags-Werbung

2019 gratulierte Edeka allen Müttern zum Muttertag und veröffentlichte ein schwarz-weißes Video, das Väter während verschiedener Alltagssituationen in ein ganz spezielles Licht rückt. Sie können nicht mit ihren Töchtern reden, sind ungepflegt, reagieren in Stresssituationen überfordert und sind generell eher unbeholfen. 

„Danke Mama, dass du nicht Papa bist“, lautet der Claim zum Spot. Wochen nach Veröffentlichung rügte der Deutsche Werberat das umstrittene Video sogar und kam zu dem Schluss: Die Werbung diskriminiert Männer und Frauen gleichermaßen.

Wir Marketer*innen müssen begreifen, dass vermeintlich „witzige“ und unbedenklich wirkende Werbespots großen Schaden anrichten können. Denn jede einzelne Ad dieser Art festigt toxische Stereotype.

Die gute Nachricht: Wir können den Spieß jederzeit umdrehen, indem wir keine toxischen Männlichkeitsbilder (mehr) reproduzieren und mit dem Schalten von inklusiver, antidiskriminierender Werbung Klischees aufbrechen.

Toxische Männlichkeit im Marketing: Was können wir tun?

Keine Stereotype (mehr) zu reproduzieren und alte Denkmuster abzuwerfen ist das Mindeste, was wir als Marketer*innen gegen toxische Männlichkeit tun können, und auch tun müssen! Um unseren Horizont zu erweitern, sollten wir einen Blick auf Kolleg*innen werfen, die schon ganz schön viel ganz schön richtig machen.

Toxische Männlichkeit im Marketing: Positiv-Beispiele

Die Bildungsorganisation Pinkstinks macht sich für die Sichtbarkeit und Bekämpfung von sexistischem, toxischem Marketing stark. Auch die Kosmetikmarke gitti sendet ein Zeichen gegen toxische Männlichkeit, indem sie männliche und männlich gelesenen Models bucht und abbildet:

Zu sehen ist eine männliche gelesene Person mit kurzen, braunen sowie lockigen Haaren. Die Person hält einen beigefarbenen Nagellack der Marke Gitti in den Händen und hält das Fläschchen in Höhe des Mundes. Die Person trägt diese Farbe ebenfalls auf den Nägeln. Die fotografierte Person trägt ein taubefarbenes Hemd, was bis zur Brust aufgeknöpft ist. Man sieht, dass sie dort tätowiert ist und eine silberne Kette mit kleinen Anhängern trägt. Außerdem trägt das Model ein silbernes Septum-Piercing sowie silberne Creolen in den Ohren. Die männlich gelesene Person hält den Kopf leicht schräg und lächelt leicht.

(Quelle: Screenshot @gittibeauty, abgerufen am 20. Februar 2024)

Wie versprochen, greifen wir an dieser Stelle nochmal das Gillette-Thema auf: 2019 brachte das Unternehmen einen weiteren Werbespot heraus, der sich wieder „dem Besten im Mann“ widmen sollte – diesmal allerdings mit einer etwas anderen Intention

Der Clip zeigt Alltagssituationen, in denen sich Männer und Jungen den Auswirkungen von toxischer Männlichkeit ausgesetzt sehen – beispielsweise, wenn sich auf dem Schulhof geprügelt wird oder wenn jemand wegen seinem nicht-männlich konnotierten Äußeren als „Freak“ beschimpft wird.

Inspiration auf Social Media zum Thema „toxische Männlichkeit“

Wenn du dich als Marketer*in bei der nächsten Gelegenheit auf deinen Social-Media-Kanälen gegen toxische Männlichkeit und dessen Auswirkungen aussprechen möchtest, solltest du folgende Profile nicht vergessen:

  • Riccardo Simonetti ist Entertainer, Model, Autor und Mitglied der LGBTQIA+- Community. Auf seinem Instagram-Kanal steht er regelmäßig für die Rechte dieser ein und zeigt auf, dass wir als Gesellschaft bezüglich toxischer Männlichkeit noch einiges leisten und aufholen müssen.
  • Bill Kaulitz ist Frontmann der Band Tokio Hotel und erregte unter anderem wegen seinem eher femininen und androgynen Look bereits früh Aufmerksamkeit. Ein Blick auf seinen Instagram-Kanal zeigt, dass der Sänger mit seinem Wirken super selbstbewusst umgeht und das auch ausstrahlt.
  • Das Berliner Modelabel HUNDHUND arbeitet sowohl mit weiblich als auch mit männlich gelesenen Models – und bricht hier ganz bewusst mit toxischen Rollenbildern. Auch männlich gelesene Models sind geschminkt, präsentieren Schmuck und tragen insgesamt eher genderneutrale Kleidung.
  • Tara-Louise Wittwer nimmt in ihren sogenannten „TikToxic“-Videos regelmäßig toxisches Verhalten aufs Korn und zeigt auf, wo noch einiges an Arbeit geleistet werden muss – ob nun von Männern oder Frauen.

Fazit: Aufbrechen toxischer Männlichkeit und gesellschaftliche Verantwortung 

Quellen

Sarah Maroulis
Sarah ist als Werkstudentin mit dem Schwerpunkt Content Creation bei House of Yas unterwegs. Ihr Aufgabengebiet umfasst unter anderem das Texten und Geschichten erzählen. Nebenbei studiert sie Literaturvermittlung in den Medien im Master.
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