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Body Positivity: Körperformen im Marketing

Dein YouTube-Video wird durch eine Werbung unterbrochen. Es geht um Aktien, Finanzen, Lebensmittellieferungen oder Home-Security-Systeme. Hast du die Werbung vor deinen Augen? Vermutlich ist ein ganz bestimmtes Bild in deinem Kopf – und vermutlich sind die Akteure schlank. 

Aber warum eigentlich? Die Werbung verkauft mir doch gar kein körperbezogenes Produkt. Warum muss die Bankberaterin dünn sein, warum ist der Familienvater, der Einkäufe tätigt, durchtrainiert? 

Es ist ein bekanntes Problem, dass nicht-schlanke Körper selten in den Medien zu sehen sind – und wenn meist in komödiantischer Rolle oder als Vorher-Bild eines motivierenden Fitness-Unternehmens. Auch, dass das gängige Schönheitsbild der westlichen Welt gepusht wird, ist kein Geheimnis. 

Doch als Marketer*innen können wir dazu beitragen, dass normale Körper endlich auch zur Normalität in den Medien werden. Ein entscheidendes Konzept dabei lautet Body Positivity, was wir uns im Folgenden genauer anschauen wollen.

Was ist Body Positivity?

Body Positivity – also Körperpositivität – wird als “the fact of feeling good about your body and the way it looks” (Cambridge Dictionary) definiert. Im Prinzip geht es darum, den eigenen Körper zu zelebrieren und zu lieben, wie er ist. Dabei bezieht sich Body Positivity nicht nur auf das Gewicht beziehungsweise die Figur, sondern allgemein darauf, einen “imperfekten” Körper zu lieben. Pigmentflecken, graue Haare, Falten (siehe auch Ageism = Altersdiskriminierung), Dehnungsstreifen, Plus Size Körper oder Menschen mit Amputationen etwa fallen in die Kategorie der gesellschaftlich imperfekten Körper. 

Übrigens: Als Plus Size Model gelten Models ab einer Kleidergröße 38 – meist haben die Models Größe 44 – 48. Das Gewicht ist also irrelevant, vielmehr kommt es auf die Konfektionsgröße an.

Mittlerweile meinte Body Positivity eine Bewegung, die alle Körper feiert und darstellt – besonders auf Social Media und im Marketing.

Geschichtlicher Überblick 

Es gibt keinen genauen Zeitpunkt, wann Body Positivity zu einem Thema wurde. Bereits im viktorianischen Zeitalter gab es Body-Positivity-Bewegungen, sodass wir mittlerweile davon ausgehen, in der dritten oder sogar schon vierten Welle zu sein. Allgemein wird der Beginn der dritte Welle des Movements in den 2000ern gesehen. 

Das Aufkommen der sozialen Medien und die Integration derselben in unseren Alltag hat die Körperlichkeit noch einmal in ein anderes Licht gerückt – und stellt Bilder von Körpern deutlich öffentlicher und weltweiter zur Verfügung. Oft wird der Beginn der modernen Bewegung auf das Plus Size Model Tess Holliday zurückgeführt, die 2013 – also lange nach dem Aufkommen bekannter Social Networks – die Kampagne EffYourBeautyStandards ins Leben rief. Mittlerweile ist Body Positivity nicht nur ein Ruf nach mehr Liebe zum eigenen Körper, sondern auch ein Apell an Unternehmen, diversere Körper zu zeigen

Pandemie und Positivity?

Doch warum kommt das Thema Body Positivity gerade jetzt wieder auf? Immerhin stehen die Auswirkungen der sozialen Medien auf die psychische Gesundheit und das Körperbild von (jungen, weiblichen) User*innen schon lange in der Kritik. Social Media Networks versuchen, dem schlechten Image entgegenzuwirken. In Finnland etwa wurde im Juni 2021 beschlossen, dass bearbeitete Fotos auf Instagram als Fake-Bilder markiert werden müssen. Kurze Zeit später verbannt Pinterest jegliche Werbung zum Thema Abnehmen, Gewichtsverlust und Diät von der Plattform, um ein Zeichen gegen Bodyshaming zu setzen. Im Dezember 2021 hat der Meta-Konzern, zu dem Facebook und Instagram gehören, beschlossen, auf Instagram zum lange vermissten chronologischen Feed zurückzukehren – wie du auch in unserem Marketing Wrap 50 nachlesen kannst. Die Entscheidung ist eine Reaktion auf die Facebook Papers, die besonders auf die negativen Auswirkungen der Plattformen eingehen. 

Hinzu kommt die Coronavirus-Pandemie. 

Wir sitzen vermehrt im Home Office und treffen uns digital via Zoom, Google Meet und Co. Eine Studie der Stanford University hat das Phänomen Zoom-Fatigue untersucht. Das Ergebnis: Video Calls machen uns nicht nur müde und strengen an, sie beeinflussen unser Selbstbild nachhaltig negativ. Dadurch, dass wir uns seit Beginn der Pandemie häufiger selbst sehen müssen, nehmen wir unser Äußeres noch kritischer wahr. Die Nachfrage nach Schönheits-OPs ist seit Beginn der Pandemie angestiegen. 

Gründe dafür sind Fatphobia (also die bewusste oder unbewusste Diskriminierung von Plus Size Körpern), aber auch Glow Up Trends auf TikTok und anderen sozialen Medien.  Solche Trends sind einerseits etwas Schönes: Sie vermitteln ein positives Gefühl und zeigen User*innen, dass sie vielleicht bald einen Körper haben, den sie lieben werden. Andererseits haben die Trends auch eine Schattenseite. Glow Up – also eine Verbesserung des Aussehens – wird oft mit Gewichtsverlust gleichgesetzt. Gerade während der Lockdown-Phase gab es vermehrt TikToks und Videos, in denen suggeriert wurde: Ich habe die Pandemie sinnvoll genutzt, trainiert und Gewicht verloren – endlich hatte ich meinen Glow Up Moment. 

Trends wie Hot Girl Summer (genieße dein Leben ohne Einschränkungen) oder IAmWoman wollen dem Druck der ständigen Perfektion den Wind aus den Segeln nehmen. Bei den Trends geht es vor allem darum, sich selbst zu lieben und einfach so zu sein, wie man ist

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Während der Lockdowns kam ein weiterer Trend auf: Glow Down Challenge. Was auf den ersten Blick negativ klingt, ist so gar nicht gemeint. Vielmehr geht es bei dem Trend darum, zu zeigen, dass es zwar ein Glow Down im Sinne sozialer Normen war, die User*innen aber mehr zu sich selbst gefunden haben und glücklicher mit sich selbst sind. 

Gerade durch die Pandemie hat das Thema Body Positivity also erneut an Relevanz gewonnen. Gerade darum ist es für Marketer*innen wichtig, sich vermehrt damit auseinanderzusetzen, wie Body Positive die eigenen Kampagnen und der eigene Auftritt ist. Besonders in körperfokussierten Branchen wie Beauty und Fashion gibt es aber schon seit Jahren den Trend hin zu diverseren Körpern und dadurch zu mehr Body Positivity. 

Body Positivity und Plus Size in körperbezogenen Branchen

Gerade große Kleidungsherstellende geraten jedoch noch oft in die Kritik, dass wenig unterschiedliche Körper auf den Seiten gezeigt werden. Und obwohl es bereits viele diverse Ethnizitäten auf Asos, Zalando und Co. gibt, ist nicht alles perfekt. 

Wie wird Plus Size Mode im Fashion-Bereich eigentlich behandelt? 

Vier Beispiele: 

About You hat folgende Kategorien:

  • „Große Größen“ bei Frauen- und Männerbekleidung
  • „Besondere Größen“: „Große Größen“ bei Männerkleidung (ja, die Kategorie gibt es doppelt)
  • „Curvy“ „Petite“ „Tall“ bei Frauenkleidung
Kategorien About You

(Quelle: About You Website)

Asos hat

  •  „Große Größen“ und „Tall“ bei den Männern
  • „Curve & Große Größen“, „Petite“ und „Tall“ bei den Frauen
Kategorien Asos

(Quelle: Asos Website)

Zalando hingegen bietet

  • „Große Größen“ und „Size-Inklusive Mode“ bei Frauen unter „Besondere Größen“ 
  • und „Große Größen“ bei Männern unter der normalen Bekleidung.
Kategorien Zalando

(Quelle: Zalando Website)

Monki, die nachhaltige und diverse Tochtermarke von h&m, bietet nur Kleidung an, keine körperbezogenen Kategorien – die Kleidung geht regulär bis Größe 50. h&m hingegen bietet “Große Größen” an. 

Kategorien HundM

(Quelle: H&M Website)

Aber warum ist das für Marketer*innen relevant? 

Weil es zeigt, dass Plus-Size-Menschen noch immer außerhalb der Norm existieren. Zwar sind die Kategorien nett und sollen vor Frustration schützen, allerdings werden Menschen mit nicht normativen Körpern weiterhin einer Minderheit zugeordnet. Ihnen wird suggeriert: Du bist nicht normal, du bist zu groß/dick/klein/anders, um zu den “normalen” Größen dazuzugehören. Im Fall von “Plus Size” entspricht das keinesfalls der Realität: Die durchschnittliche deutsche Frau trägt Kleidergröße 42/44.

Für Marketer*innen wichtig: Gut gemeint ist also nicht immer gut gemacht – wie du auch in unserem Artikel zu performativem Aktivismus lesen kannst.

Body Positive Kampagnen von Dove oder Savage x Fenty (der Dessous-Marke von Sängerin Rihanna) zeigen, dass ein Ruck durch die Modebranche geht. Auch die nachhaltige Nagellack- und Make-Up-Marke gitti schließt sich an: Auf der Website werden die Hände von Plus Size Models gezeigt, Menschen mit nicht perfekten Fingernägeln und ältere Menschen. 

Gitti Plus Size Model

(Quelle: gitti Website)

Nachhaltigkeit und Diversität werden wichtiger, der soziale Druck steigt. Besonderen Wert auf diese Themen legt die Gen Z, wie unsere Studie “OK Zoomer” gezeigt hat. 

Body Positivity in nicht-körperbezogenen Branchen

Wenn wir sagen, dass Plus Size nicht außerhalb der Norm existieren sollte, da es die Norm ist, aber nicht als Normalität wahrgenommen wird, dann stellt sich die Frage, ob Plus Size Menschen auch in nicht-körperbezogenen Branchen gezeigt werden. Etwa in der Bank-Werbung, dem TV-Spot über das neueste Auto oder in der Werbung für die Versicherung.

Beispiel 1: Ikea – “Knock Knock – Tür auf fürs Leben”

Eigentlich geht es in dem Werbespot nur um die Langlebigkeit der Ikea-Birnen – uneigentlich geht es um Mut, Toleranz und Freundschaft. Und für uns geht es darum, dass in der Werbung ganz selbstverständlich Menschen mit nicht-Modelkörpern die Hauptakteure sind. 

YouTube

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Es liegt kein Fokus auf den Körpern, es geht um die Beziehung der Menschen zueinander – das Aussehen ist zweitrangig. 

Beispiel 2: Aldi Süd – “Der nadelnde Weihnachtsbaum”

Eine Frau liegt auf dem Sofa und isst Snacks, ihr Mann saugt Tannenbaumnadeln auf und küsst sie liebevoll auf den Kopf – Alltagsszenen einer Beziehung. Wichtig ist, dass das Paar füreinander da ist. Sehr erfrischend ist, dass die Personen in der Werbung Körper haben, die sonst selten in Werbungen zu sehen sind – und sogar essen. Leider ist es in den meisten Medien nicht der Fall, dass Menschen, die in die arbiträre Plus Size Kategorie fallen, essend gezeigt werden. Oft wird es in der Gesellschaft aufgefasst als: “Wenn du unser Essen isst, wirst du dick. Und dick sein ist schlecht.” 

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Der Weihnachtswerbespot von Aldi Süd ist dementsprechend positiv zu bewerten, da alltägliche Menschen in alltäglichen Situationen gezeigt werden, ohne dass es um den Körper geht. 

Beispiel 3: Hornbach – “Es scheint unmöglich. Bis Du es machst.”

Die Story der Werbung ist schnell erzählt: Kleine Projekte wirken immer unmöglich, bis man sie letztendlich angeht. Das schöne daran: Trotz der hollywoodreifen Produktion hat Hornbach für die Werbung keinen Protagonisten mit Superhelden-Körperform ausgesucht. Zwar geht es um körperlich anstrengende Arbeit, aber die Werbung suggeriert: Alle können es schaffen, wenn sie nur anfangen. 

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Hornbach zeigt: Projekte haben nichts damit zu tun, welchen Körperbau jemand hat. Man muss nicht aussehen wie Chris Hemsworth, um einen Hammer schwingen zu können.

Konsequenzen für das Marketing

Körper sind divers und sollten auch so dargestellt werden – in alltäglichen Situationen, nicht nur, wenn es um den Körper geht. Die Kritik an der Body-Positivity-Bewegung ist, dass der Körper weiterhin als Schönheitsideal im Vordergrund steht, nicht die Gesundheit, die Talente oder der Charakter der Person. Body Neutrality sagt: Die Figur, Dehnungsstreifen, Falten müssen nicht schön sein, sie sind einfach nur da, man muss sie nicht feiern, um sich selbst zu lieben – die Person ist mehr als der Körper. 

Marketer*innen sollten deswegen einen Blick auf die eigenen Bilder werfen, die auf der Website oder in Kampagnen zu sehen sind: Wie diverse bist du aufgestellt? Hast du Menschen unterschiedlicher Ethnizitäten, Religionen, Kleidergrößen in deinen Bildern? Und existieren diese Menschen einfach nur als Menschen oder wird der Körper als Beispiel in den Fokus gerückt? 

Nützlich sind Stock Image Sites, die Bilder mit Plus Size Models in alltäglichen Situationen anbieten: beim Tee trinken, während der Yoga-Stunden oder auf einem Spaziergang. 

Solche Seiten sind zum Beispiel:

Bilder schaffen Realitäten und wenn Plus Size Menschen nur in Fashion oder Beauty Ads gezeigt werden, kann schnell die Realität entstehen: Ja, du sollst deinen Körper lieben – aber nur wenn wir dir Produkte dafür anbieten. Selbstverständlich ist es nicht falsch, alle Körper zu zelebrieren. Es ist sogar wichtig, alle Körper gebührend zu feiern. Aber es ist ebenso wichtig, Körper einfach Körper sein zu lassen und sie in alltäglichen Situationen zu zeigen. 

Wir als Marketer*innen können und sollten dazu beitragen, Sehgewohnheiten zu ändern und neue Normalitäten zu schaffen. 

Quellen

https://www.derstandard.de/story/2000128668811/die-unsichtbare-mitte

https://www.derstandard.de/story/2000120839950/body-positivity-bei-maennermodels-die-entdeckung-des-bauchs

https://respectmysize.podigee.io/11-promis-gewichtsveranderungen

https://respectmysize.podigee.io/8-wieso-fat-suits-problematisch-sind

https://respectmysize.podigee.io/7-sehgewohnheiten-in-den-medien-magazinen-mit-carola-niemann

https://respectmysize.podigee.io/5-beach-body-hot-girl-summer

https://blog.clsr.me/blog/2021/05/28/body-positivity-werbung-im-wandel/

https://penji.co/body-positivity-marketing/

https://www.holmesplace.de/de/blog/lifestyle/brands-leading-body-positivity

https://www.ohmymag.de/schoenheit/mannlichkeit-hat-viele-facetten-diese-werbung-feiert-die-korper-echter-manner_art14065.html

https://www.reebok.de/blog/621666-die-bedeutung-von-body-positivity-und-inklusiver-reprasentation-in-der-fitnessindustrie

https://yorkspace.library.yorku.ca/xmlui/bitstream/handle/10315/32785/Cwynar-Horta_Jessica_C_2016_MA.pdf?sequence=2&isAllowed=y

https://www.zeit.de/zett/politik/2018-08/body-neutrality-muss-ich-mich-und-meinen-koerper-wirklich-abfeiern

https://dictionary.cambridge.org/de/worterbuch/englisch/body-positivity

https://www.n-tv.de/panorama/Influencer-muessen-Fake-Fotos-kennzeichnen-article22618520.html#:~:text=Mit%20einem%20neuen%20Gesetz%20will%20Norwegen%20nun%20gegen%20den%20K%C3%B6rperkult%20vorgehen.&text=Ab%20Sommer%202022%20m%C3%BCssen%20retuschierte,Gr%C3%B6%C3%9Fe%20des%20Models%20ver%C3%A4ndert%20wurde.

https://www.sueddeutsche.de/panorama/videokonferenzen-zoom-fatigue-studie-1.5270664

https://www.wundercurves.de/page/plus-size-model-werden/#:~:text=Plus%20Size%20f%C3%A4ngt%20in%20den,eher%20im%20Bereich%2044%2D48.

https://www.jolie.de/mode/deutsche-durchschnittsfrau

Pia Krolik
Pia ist Project Managerin in der Redaktion und dafür verantwortlich, dass Projekte ihren geregelten Lauf gehen und kleine Stolperfallen nicht zum Grand Canyon werden. Während ihres Master-Studiums in Englischer Literatur und Medienkulturwissenschaften hat sie den Weg zu House of Yas gefunden und ihre Liebe zu ordentlichen Tabellen und gut gepflegten Ordnerstrukturen entdeckt.
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