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Martin Baier über Native Advertising

Native Advertising ist seit Jahren fester Bestandteil des Content Marketing. Inzwischen gibt es kaum noch ein großes Nachrichtenportal, das die Werbeform nicht im Portfolio hat. Die taz veröffentlichte zwar schon vor längerer Zeit einen Artikel, in dem sie Native Ads aus Prinzip in Frage stellt. ZEIT Online oder der Spiegel hingegen sind schon lange dabei.

Aber von vorne: Was verstehen wir überhaupt unter Native Advertising? Allgemein werden darunter Inhalte gefasst, die innerhalb eines redaktionellen Umfelds ausgespielt werden und dem Look and Feel der Plattform entsprechen.

Zu unterscheiden sind hier im Wesentlichen Artikel (Advertorials), die einer bestimmten Zielgruppe einen Mehrwert bieten sollen sowie Teaser (Recommended Ads), die auf das Angebot eines Unternehmens verweisen. Die Inhalte werden entsprechend als Werbeinhalte gekennzeichnet.

Native Ads: Herausforderung und Chance

Als Hybrid zwischen redaktionellem Inhalt und Werbung ist Native Advertising sicherlich eines der aktuell spannendsten Formate im Content Marketing. Trotzdem oder gerade deshalb wirft es aber auch einige Fragen auf.

Zum Beispiel, für welche Unternehmen es sich besonders eignet. Oder wie ein Erfolg sinnvoll messbar ist. Und ob Native Advertising von den Nutzer*innen überhaupt als Werbung wahrgenommen wird.

Martin Baier, Director Partner Studio bei BurdaForward, ist Experte, wenn es um Native Advertising geht. Mit ihm sprechen wir über die Herausforderungen des Themas und wie Unternehmen Native Advertising erfolgreich einsetzen.

Hi Martin! Was sind für dich die entscheidenden Vorteile von Native Advertising als Werbeform?

Martin Baier: Man sieht immer deutlicher: Werbung, die unterbricht, ist von Nutzer*innen nicht gewollt. Wenn sie die Möglichkeit dazu haben, blenden sie diese aus. Wir haben steigende AdBlocker-Quoten, wir sehen, dass die Akzeptanz schwindet. Native Advertising ist eine Werbeform, die genau dagegen angeht.

Hierbei werden Nutzende nicht dabei unterbrochen, was sie eigentlich tun wollen. Denn im Zentrum stehen nutzerorientierte Inhalte, die wiederum mit den Zielen der werbetreibenden Kund*innen verknüpft werden. Das ist unsere Definition von Native Advertising.

In welchen Kaufphasen lässt sich Native Advertising einsetzen?

Martin Baier: Native Advertising kann sowohl Awareness Content abbilden, also bestimmte Themen, die die Zielgruppe der Kund*innen interessiert. Aber es kann natürlich auch eine sehr nutzungsorientierte Aufbereitung von eher produktnahem Content sein. Je nachdem, welche Ziele man verfolgt und was man mit der Werbeform erreichen will.

In welchen Branchen ist Native Advertising besonders vielversprechend? Welche Bereiche laufen da aus eurer Erfahrung besonders gut?

Martin: Wir haben bei unseren mittlerweile mehr als 400 Projekten mit Kund*innen aus allen Branchen zusammengearbeitet. Wenn man nun Traffic als Maßstab nimmt, dann funktionieren die breiten Themenbereiche natürlich besonders gut.

Kampagnen in der Travel-Branche haben naturgemäß mehr Reichweite als ein spitzes Finanzthema. Deshalb ist das eine aber noch nicht weniger erfolgreich als das andere.

Einmal will ich eine breite Zielgruppe ansprechen und einmal habe ich eine spitzere Zielgruppe und weniger Reichweite auf diesem Thema, aber ich erreiche eben genau die Menschen, die unser*e Kund*in auch erreichen will.

Es gibt also Lösungen für jede Branche. Auch Finanzthemen funktionieren sehr gut. Hier gibt es einen großen Bedarf, erklärungsbedürftige Finanzthemen nutzernah aufzubereiten. Und das ist ein schöner Ansatz für Native Advertising.

Wie geht ihr bei der Konzeption von Native-Advertising-Kampagnen für eure Werbekund*innen vor? Was sind die wichtigsten Eckpunkte für gutes und wirkungsvolles Native Advertising?

Martin: Im Wesentlichen gibt es da drei Eckpunkte:

  1. Ausgangspunkt für erfolgreiches Native Advertising ist immer die Orientierung an die Nutzer*innen. Wichtig ist, für wen man den Content produziert. Je mehr man über die Zielgruppe weiß, desto besser. Man darf nie der Illusion nachgeben, dass man selbst weiß, was die Zielgruppe interessiert. Bestenfalls hat man die Zielgruppe analysiert oder beruft sich auf die Erfahrungswerte und Infos der Kund*innen über die Zielgruppe.
    Außerdem wissen wir, was auf unseren Publishing-Marken gut funktioniert. Wir stehen in einem engen Austausch mit unserer Redaktion. Die Kolleg*innen geben uns regelmäßig Updates zu den Themen, die besonders gut funktionieren. Das sind die ersten Schritte, um den Bedarf der Zielgruppe zu erfassen.
  2. Im zweiten Schritt geht es darum, einen klaren Mehrwert für diese Zielgruppe zu liefern, sei es durch ein Thema, das die Zielgruppe interessiert, ein Problem, das gelöst wird oder etwas, das sie unterhält. Die so generierte Aufmerksamkeit gilt es dann durch Fingerspitzengefühl mit der*dem werbetreibenden Kund*in in Einklang zu bringen.
    Schleichwerbung darf man natürlich nicht machen und das würde auch gar nicht funktionieren. Die Nutzer*innen haben sehr feine Antennen. Das merken sie sofort und würden entsprechend abspringen. Es muss also immer offensichtlich sein, dass ein*e werbetreibender Kund*in hinter den Inhalten steckt.
  3. Trotzdem sollen diese Inhalte natürlich – im dritten Schritt – eine bestimmte messbare Wirkung für die*den Kund*in entfalten.

Wenn wir von messbarer Wirkung sprechen, stellt sich die Frage nach sinnvollen Abrechnungsmodellen, die der Werbewirkung entsprechen. BurdaForward hat dazu im Herbst 2018 mit den „Engaged Views“ ein innovatives Abrechnungsmodell vorgestellt. Kannst du erklären, was es damit auf sich hat?

Martin: Wir haben anfangs viele Kampagnen danach beurteilt, wie viel Reichweite sie erzeugen. Das heißt, ein*e Nutzer*in kommt von einem Bild/Text-Teaser auf einen bestimmten Inhalt und wir messen die Reichweite, die dieser Inhalt generiert. Damit ist allerdings noch nicht sichergestellt, dass die*der Werbekund*in mit diesem Traffic auch etwas anfangen kann.

Deshalb sind wir einen Schritt weitergegangen. Wir haben uns angeguckt, wie viel Zeit Nutzer*innen benötigen, um sich auf der Seite zu orientieren. Ist es das, was ich gesucht habe, will ich weiterlesen, oder interessiert es mich doch nicht und ich verlasse die Seite wieder?

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, herauszufinden, an welchem Zeitpunkt Nutzer*innen die Entscheidung für oder gegen einen Inhalt fällen und dranbleiben bzw. abspringen. Denn erst, wenn die*der Nutzer*in diese Entscheidung getroffen hat, kann man davon ausgehen, dass der Inhalt eine positive Markenwirkung entfaltet.

Dazu haben wir viele Tests gemacht, Daten aus unserem Echtzeit-Dashboard herangezogen und eruiert, nach welchen Zeitspannen wir die höchsten Absprungraten haben und wann sich Traffic-Verlauf auf den Artikeln einpendelt.

Gleichzeitig haben wir mit unserem Research-Team untersucht, ab welcher Verweildauer eine Markenwirkung entsteht. Wir konnten mittels Befragung herausfinden, wie lange ein* Nutzer*in  auf einem bestimmten Native-Advertising-Inhalt sein muss, damit ein positiver Imagetransfer erfolgt.

Und was war das Ergebnis?

Martin: Ausgehend von diesen beiden Quellen – Echtzeit-Daten und Befragungen – haben wir entscheiden, bei sieben Sekunden den Cut zu machen: Wenn Nutzende sieben Sekunden auf dem Inhalt bleiben, können wir mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass eine positive Markenwirkung entsteht.

Daraus ist unsere neue Garantie entstanden, die wir unsere Kund*innen gegen Aufpreis anbieten. Mit „Engaged Views“ rechnen wir nur Views ab, die diesem Kriterium entsprechen.

Super Erkenntnis! Wie seid ihr bei der Erhebung vorgegangen?

Martin: Wir haben unseren Nutzer*innen in einem repräsentativen Panel die Inhalte unterschiedlich lang gezeigt und dadurch die Unterschiede herausgearbeitet. Was passiert ab einer Verweildauer von fünf Sekunden, was passiert ab einer Verweildauer von sieben Sekunden, was passiert ab einer Verweildauer von 30 Sekunden?

Diese Werte haben wir miteinander verglichen und mit unseren „harten“ Zahlen aus dem Dashboard kombiniert. Was haben wir für Absprungraten in welchen Zeitverläufen? Dahinter steckt eine komplexe Methodik – das ist aber die grundsätzliche Herangehensweise, mit der wir letztlich das Abrechnungsmodell „Engaged Views“ für unsere Kund*innen entwickeln konnten.

Kritische Stimmen setzen Native Advertising oft gleich mit einem „Ausverkauf des Journalismus“. Was entgegnest du dieser Kritik und wie siehst du die Beziehung zwischen Native Advertising und journalistischen Anbietern?

Martin: Seit es diese Werbeform gibt, gibt es auch diese Diskussionen. Ich glaube, es liegt ein Stück weit an der Branche, wie man damit umgeht. Bei BurdaForward verfolgen wir den „Goodvertising“-Ansatz. Wir wollen Inhalte nutzer*innennah gestalten, redaktionell und werblich. Und wir wollen vollkommen transparent sein.

Für uns als Publishing-Haus ist werblicher Content natürlich notwendig. Aber wir sagen, dass dieser Content eben keine Qual für Lesende sein muss, sondern auch einen Mehrwert bringen kann.

Mit welchen konkreten Maßnahmen stellt ihr Transparenz her?

Martin: Wichtig dabei ist zunächst, dass jede Person, die auf die Seite kommt, klar sehen kann, dass hinter den Native-Advertising-Inhalten ein*e zahlende*r Werbekund*in steckt. Das stellen wir über mehrere Instanzen sicher.

Einmal erfolgt das über eine klare Kennzeichnung. Über Tests und Umfragen kontrollieren wir, ob diese Kennzeichnungen dann auch von unseren Nutzer*innen verstanden und wahrgenommen werden.

Daneben haben wir das Branding in den Artikeln selbst. Kund*inneen begleiten diese mit Display-Ads und Logos an der Seite, was die Inhalte von normalen redaktionellen Inhalten abgrenzt. Wir nennen unsere Werbekund*innen außerdem schon in der Einleitung.

Damit stellen wir einerseits Transparenz sicher und geben zu erkennen: Dies ist kein unabhängiger journalistischer Inhalt, sondern er wurde gemeinsam mit unserer*unserem Kund*in erstellt.

Andererseits wollen wir diese Kund*innennennung natürlich auch explizit. Wir wollen die Kund*innen hervorheben, um letztlich eine Markenwirkung zu erzeugen. Deshalb haben wir auch innerhalb der Inhalte verschiedene Integrationen, bei denen die Werbekund*innen Platz finden.

So gehen wir mit jedem Inhalt vor.

Und wie nehmen das die Nutzer*innen wahr?

Martin Baier: Unsere Umfragen zeigen, dass Nutzer*innen die Native-Advertising-Inhalte von journalistischen Inhalten unterscheiden können. Sie erkennen, dass das eine unabhängig redaktionell ist und dass das andere bezahlt werblich ist – deshalb aber nicht schlecht sein muss, sondern ebenfalls Mehrwert bringt.

Welche Trends zeichnen sich im Native Advertising für die nächsten Jahre ab? Gibt es beispielsweise Formate, die sich mehr und mehr durchsetzen oder bestimmte Technologien, die im Native Advertising immer wichtiger werden?

Martin Baier: Was wir in 2018 neu in unser Portfolio aufgenommen haben, sind visuelle Produkte. Wir arbeiten verstärkt mit großflächigen Bildern. Gerade im Bereich Travel und Automotive haben wir hier den Bedarf erkannt, nicht nur über Text zu kommunizieren, sondern auch über visuelle Formate zum Beispiel Destinationen oder Essen zu zeigen und das Ganze durch Text zu unterstützen.

Außerdem: Bislang haben wir uns thematisch sehr auf den Top-Funnel-Bereich konzentriert. Allerdings suchen unsere Werbekund*innen mittlerweile nicht nur nach Awareness-Lösungen, sondern wollen mit uns als Publisher zusammen auch in der Conversion-Phase arbeiten. Das heißt, wir bieten immer mehr Werbeprodukte an, die den kompletten Funnel abdecken.

Das übergeordnete Trendthema im Native Advertising ist aber letztlich: Es muss ein Nachweis über Wirkung von Native Ads erfolgen. Die Messung über den ganzen Funnel hinweg ist eine der größten Herausforderungen.

Natürlich passiert da bereits viel an quantitativer Messung in der Awareness-Phase, aber es müssen eben auch tiefer im Funnel qualitative Nachweise erfolgen, beispielsweise zu der Markenwirkung und dem Beitrag zum Abverkauf mittels Marktforschungsbefragungen.

Da gibt es für viele Branchen noch einen Weg zu gehen, aber die größeren Budgets werden erst dann in den Bereich geshiftet, wenn klar ist, was wir leisten können.

Bei BurdaForward arbeiten wir von Beginn an sehr datengetrieben. Wir haben seit mehr als zwei Jahren ein Echtzeit-Dashboard, das wir auch unseren Kund*innen freigeben. KPIs, die wir intern verwenden, um Kampagnen zu optimieren, kann also auch die*der Kund*in jederzeit verfolgen. In diese Richtung werden wir uns weiter entwickeln.

Wie siehst du das Verhältnis Kreativität und Daten?

Martin Baier: Native Advertising hat sehr viel mit Kreation zu tun, sehr viel mit Gefühl für die Zielgruppe und der*den einzelnen Nutzer*in – das ist der redaktionelle Part. Auf der anderen Seite ist das Geschäft natürlich sehr datengetrieben. Man muss wissen, was man tut, muss sehen können, was letztlich funktioniert und was nicht.

Es muss immer eine Datengrundlage geschaffen werden, von der aus man die richtigen Schlüsse ziehen kann. Kurz gesagt: Keine Kreativität ohne den Performance-Nachweis, aber eben auch kein Performance-Nachweis ohne die Kreativität.

Vielen Dank, lieber Martin!

Fazit – Mehrwert meets Messbarkeit

Auch Martin wird also nicht müde, die erste Regel des Content Marketing zu betonen: Die Nutzer*innenorientierung muss im Mittelpunkt stehen. Dafür sollten Unternehmen ihre Buyer Persona und den entsprechenden Mehrwert klar definieren können.

Interessant ist, dass sich die Werbeform durchaus auf den kompletten Funnel auswirken kann und das auch messbar ist. Also inwieweit zum Beispiel ein Imagetransfer von der Ad auf die Marke greift oder inwiefern sie ganz konkret den Abverkauf fördert.

Direkt eine Marktforschung für Native Advertising zu rechtfertigen, könnte anfangs schwer werden. Die Einbindung der entsprechenden Fragen in eine größere Befragung, die ohnehin durchgeführt wird, könnte dabei aber Abhilfe schaffen.

Oder man startet mit der Messung anhand von Views und den von Martin angesprochenen “Engaged Views” eben doch erst einmal auf der Awareness Stage. Nach der Optimierung der Ads und ersten Erfolgen kann die Messung dann sozusagen auf die weiteren Stages des Funnels expandieren.

Das Schöne ist: Kreativität bleibt weiterhin eine Grundzutat des Native Advertising. Ihr Erfolg kann schließlich gemessen werden – und wird ihr im besten Falle Recht geben.

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Achja, noch eine Sache zum Thema Kreativität: Netflix rollte bereits mehrere erfolgreiche Native-Adertising-Kampagnen aus und darf sich gut und gerne als internationaler Vorreiter auf dem Gebiet bezeichnen.

2015 veröffentlichten sie zum Start einer Staffel der Serie Narcos im Wall Street Journal einen Bericht über den Kokain-Handel des Medellín-Kartells, der viel Aufsehen erregte. Und für die Serie Orange is the New Black setzte sich der Streaming-Anbieter mit seinem Content kritisch mit Haftbedingungen und Gefängnissen auseinander.

Zumindest inhaltlich standen die Ads den Artikeln der New York Times damit in fast nichts nach. Mit einem cleveren Mix aus Text, Infografiken und Kurzfilmen hat Netflix hier zwei tolle Beispiele für gelungene Native-Ad-Kampagnen an den Start gebracht.

 

Manni (he/him)
Manni ist Head of Marketing und verantwortlich für die Eigenvermarktung von House of Yas. Vor seiner Zeit bei House of Yas hat er bei Radiosendern und Zeitungen gearbeitet und nebenher seinen Master in Medienkulturwissenschaften gemacht. Heute bringt er seine journalistische Erfahrung und kritische Mediendenke in den Agenturalltag ein und lässt seiner Kreativität bei der Entwicklung von neuen Formaten freien Lauf.
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