“Raum für Vielfalt”, liest man auf der Seite von Kulturton. Mit ihrer Agentur für Diversität und Transkulturalität hilft Türkân Deniz-Roggenbuck Unternehmen, Organisationen und Einrichtungen dabei, Diversity Management in die Firmenpolitik zu integrieren. Ziel ist es, einen solchen Raum für Vielfalt zu schaffen. Denn nur Unternehmen, die Diversität leben, können dauerhaft erfolgreich sein, findet Türkân.
Im Gespräch mit uns erklärt Türkân, wie ‘Door Opener’ Diversität ins Unternehmen tragen, warum gerade Führungskräfte die Hebel in die Hände nehmen müssen und wie unterschiedlich die Arbeit mit verschiedenen Branchen sein kann.
Interview mit Türkân
Du arbeitest mit Unternehmen, Einrichtungen und Organisationen unterschiedlichster Branchen zusammen. Variieren deine Inhalte und deine Vorgehensweise dann je nach Auftrag stark?
Ja. Privatwirtschaft arbeitet ganz anders mit Diversity als beispielsweise Kultureinrichtungen. Diese haben es eventuell schon mal in ihrer Programmplanung berücksichtigt, aber intern passiert oft nicht so viel. Der Dreiklang aus Personalpolitik, Programm und Publikum sollte ganzheitlich gedacht werden. Aber das wird vernachlässigt. Nur eine Stellschraube zu verändern, bringt den Prozess nicht in Gang. Das gilt nicht nur für die autochthon (altgriechisch: ‘eingeborene’, Anm. d. Red.) deutsch gelesene Gesellschaft.
Auch wenn ich mit Migrant*innenorganisationen oder interkulturellen Einrichtungen arbeite, sieht das oft nicht anders aus. Die haben ja auch nur eine Brille auf. Jede*r ist in einer eigenen Blase, wir beide auch. Ich finde, gerade Einrichtungen des öffentlichen Dienstes haben aber einen politischen Auftrag. Das ist im Grundgesetzt verankert: alle Menschen sind gleich. Du musst alle in ihren Merkmalen mitnehmen können und das passiert nicht.
Ist das dann zunächst die größte Herausforderung, die du hast? Dass du die Leute erstmal überzeugen musst, dass sie sich in einer Blase befinden und sie sich aufklären müssen und dementsprechend intensiv mit dem Thema auseinandersetzen sollten?
Tatsächlich ist es so, dass ich erst mal eine Bestandsaufnahme mache. Teilweise erfolgt das über anonymisierte Interviews mit den Führungskräften und Mitarbeitenden, um zu sehen, was schon umgesetzt wird. Aber auch um ihnen zu spiegeln, was sie eigentlich bereits selbstverständlich integriert haben in ihren Unternehmensalltag. Das dient dann auch zur Selbstreflexion. Diese vertiefende Auseinandersetzung kann aber nur wirksam gelingen, wenn die Aufträge mindestens neun Monate bis ein Jahr laufen.
Wie kann man sich sonst deine Herangehensweise vorstellen?
Wenn ich die Interviews aus Zeitgründen nicht führen kann, mache ich nur eine generelle Bestandsaufnahme, quasi eine kurze Abfrage. Aber eigentlich versuche ich schon, die Interviews zu machen, weil sie die größte Aussagekraft haben. Da kann ich für mich als Beraterin sehr viel rausziehen, an dem ich ansetze. Erst wenn das Team sich wertgeschätzt fühlt und sich in den professionellen, aber auch persönlichen Ressourcen wahrgenommen fühlt, bekommst du das Commitment, eine Veränderung anzugehen. Sonst kommt das einfach nur on top, à la ‘Wir haben das Regelgeschäft und das mit der Diversität musst du jetzt auch noch beachten!’.
Was wäre dann der nächste Schritt in Richtung Diversity?
Dann geht’s weiter mit sachlichen und wissenschaftlichen Informationen zum Thema. Ohne mit dem Finger auf die Lücken der Organisation zu zeigen, denn das funktioniert nicht. Und das ist auch gar nicht Sinn meiner Arbeit. Ich gehe immer von mir aus: wie würde ich mich fühlen, wenn ich in ein Seminar oder eine Beratung gehe und dann wird mir erst mal gesagt, was ich alles falsch mache? Deswegen bereite ich das als aufeinander aufbauende Seminareinheiten auf und gebe viele Good- und Bad Practice Beispiele an. Dafür braucht es in der Regel auch mehrere Termine, um zu verstetigen, was ich erzähle.
Was machst du anschließend mit den Ergebnissen der Bestandsaufnahme?
Die nehme ich mit in die Sensibilisierungsarbeit. Sprich: konkrete Fälle aus dem Unternehmen oder der Organisation gemeinsam besprechen. Wo gibt es Verbesserungsvorschläge, wo kann man von der Gegenseite ein Entgegenkommen erwarten? Wo muss sich das Geben und Nehmen in der Waage halten?
Du schaffst also eher die Grundlage und gehst weniger darauf ein, wie Unternehmen nach Außen Diversity kommunizieren können?
Ja, denn das Eine bedingt das Andere. Ohne das innere Verständnis aufzubauen, kann es nach Außen nicht wirken. Und dann hast du nur eine Scheinfassade, die dann irgendwann, wenn die ganze gesellschaftspolitische Agenda – von #BlackLivesMatter bis Diversity-Mainstream – wieder aus dem Fokus gerät, auch zusammenfällt.
Ich kann das also nur dann richtig angehen, wenn ich das intern in meiner Organisationskultur, in meiner Mitarbeitendenkultur tatsächlich lebe und verankere. Ansonsten kannst du das nach Außen auch nicht glaubhaft vermitteln. Und authentisch in dem Zusammenhang bedeutet ja nicht nur positiv. Authentisch ist auch, über Dinge zu sprechen, über die man gar nicht sprechen will.
Wenn du deine gesamte Unternehmensstrategie nach Diversity-Management ausrichtest, greifen die Zahnräder harmonisch ineinander.
Passiert es auch, dass du auf Menschen triffst, die damit nichts anfangen können?
Ja klar. Es kommt schon vor, dass ich Menschen vor mir habe, die sagen: “Das ist schön und gut in der Theorie, aber praktisch kommt das für mich nicht in Frage.” Aber damit kann ich leben. Ich brauche ja auch immer eine offene Haltung, um das Thema voranzutreiben.
Aber die Mindestanforderung wäre dennoch, dass zumindest das Führungspersonal eine klare Haltung in Bezug auf Diversity einnimmt, oder?
Genau. Deswegen ist es wichtig, dass man Diversity-Management als strategisches Organisationstool sieht. Denn wenn du deine gesamte Unternehmensstrategie nach Diversity-Management ausrichtest, greifen die Zahnräder harmonisch ineinander. Heißt zum Beispiel: du hast deine Personalpolitik dementsprechend ausgerichtet. Beim Thema Recruiting kann es zur Reduktion von Bias-Effekten, also kognitiver Verzerrung von Wahrnehmungen, von Vorurteilen, führen. Und dies kann die gesamte Unternehmenskultur und Produktpalette automatisch und organisch verändern, weil du andere Lebensweisen und -wirklichkeiten hast. Für mich ist es sehr logisch und nachvollziehbar, aber ich verstehe auch, dass es für andere Menschen unbequem sein kann.
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Man hat ja bis zu dem Zeitpunkt auch mit dem Glauben gelebt, dass die eigene Denkweise OK ist.
Und genau diese Denkweisen sind der springende Punkt – und auch erstmal legitim. Du kannst nicht ein, zwei Trainings machen und dann ist plötzlich der Magic Moment oder Impuls gesetzt. Das dauert seine Zeit. Ich versuche das immer mit einem persönlichen Beispiel zu erklären, wie Neujahrsvorsätze. Deine Verbindung dazu wäre ganz anders, wenn du jemanden hättest, der dich in diesen Vorsätzen begleitet und dich vielleicht einmal im Monat abholt und daran erinnert, dabei die kleinen Prozesse rückverfolgt und als Meilensteine hervorhebt.
Wenn ich eine Anfrage bekomme, frage ich auch immer: “Wollen Sie wirkliche Veränderung, also ganzheitliche, tief gehende Veränderungen, die sich so bei Ihnen internalisieren, dass sie niemanden mehr von Außen brauchen? Dann müssen Sie mindestens neun Monate einplanen. Wollen Sie nur einen kurzen Input, können Sie gerne eine Keynote von mir haben, aber dadurch wird sich nur marginal etwas verändern.”
Ist es essenziell, dass intern eine Person festgelegt wird, die das Thema betreut?
Eine Anbindung zur Führungsebene ist sehr wichtig. Ein Diversity Guard oder Diversity Angel oder Diversity Agent. Es gibt viele Bezeichnungen dafür. Ich nutze gerne den umgekehrten Begriff zu Gate Keepern, der in der Soziologie negativ behaftet ist, nämlich Door Opener. Diese Person muss eine bestimmte Stellung im Unternehmen haben. Meinungsautorität klingt jetzt sehr extrem, aber ich meine das nicht negativ. Du brauchst eine Person, die das Meinungsbild stark prägt. Es bringt nichts, wenn die gerade eingestellte wissenschaftliche Mitarbeiterin das dann on top noch übernehmen soll. Du brauchst jemanden, der tief in die Materie geht und sich auch einsetzt. Und wer könnte das besser machen als jemand aus der Führungsriege?
Und wie wird das Diversity-Thema dann in einem großen Unternehmen weitergetragen?
Ich arbeite immer mit einer vorher bestimmten Teilgruppe zusammen. Und diese Menschen sind dann sowas wie Multiplikator*innen und tragen das weiter. Aber am essenziellsten ist wirklich, dass die Führungsebene dabei ist, um die Wichtigkeit zu unterstreichen. Denn so repräsentierst du, dass das Unternehmen nicht nur dahintersteht, sondern das Thema auch vorantreibt.
Im Diversity-Check merken die Leute, dass sie von ihrer eigenen Normativität ausgehen.
In welchem Rhythmus finden die Seminare mit dir statt?
Im Idealfall gibt es alle zwei bis drei Monate einen Präsenz-Termin. Zwischen diesen direkten Terminen gibt es aber auch Eins-zu-Eins-Beratungen und Zeit für Fragen. Parallel dazu sollen die Teilnehmenden verschiedene Aufgaben angehen. Zum Beispiel einen Fragebogen oder eine Check-Liste zu Diversität im Unternehmen, in ihrer Organisation ausfüllen.
Was passiert in diesem internen Diversitäts-Check?
Dabei geht es darum, dass sie ihr Unternehmen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, die ihnen vorher vielleicht noch nicht bewusst waren. Banales Beispiel: Toilette. Welche Geschlechter werden bei euch angesprochen? Oder wie sieht es mit der architektonischen Barrierefreiheit aus? Man soll mit diesem Fragebogen durch das Unternehmen laufen und damit fängt man schon an, den Blick etwas aufzubrechen. Dann merken die Leute, dass sie von ihrer Normativität ausgehen, die nicht ausschlaggebend ist. Ein anderes Beispiel sind Gebetsräume. Inwieweit kann ich denn eine persönliche Facette meiner Mitarbeitenden einfach aus dem Arbeitsalltag ausklammern, wenn das doch zu der Person gehört, die ich im Ganzen eingestellt habe, weil mich die Persönlichkeit angesprochen hat?
Hier findest du den zweiten Teil des Interviews mit Türkân Deniz-Roggenbuck. Darin geht’s um diese Themen:
- Privilegienchecks und festgefahrene Denkmuster
- Wie man Diversity langfristig im Unternehmen integrieren kann
- Warum Diversity für den Erfolg eines Unternehmens essenziell ist
- Welche Rolle die Politik beim Thema Diversität einnimmt