HoY Logo

Diversity Management als Unternehmenskultur (Interview Teil 2)

“Wenn du deine gesamte Unternehmensstrategie auf Diversity Management ausrichtest, greifen die Zahnräder harmonisch ineinander”, erklärt Türkân Deniz-Roggenbuck von Kulturton im ersten Teil unseres Gesprächs.

Um Diversität nachhaltig in die Unternehmenskultur zu integrieren, müssen bestehende Denkmuster durchbrochen werden. Gleichzeitig unterliegt Diversity Management stetigen Veränderungen, da sich der “Stand der Dinge” und “gesellschaftliche Agenden” weiterentwickeln, wie Türkân erklärt.

Wie schafft man es also, Diversität als natürliche Unternehmens-Policy einzuführen? Warum sind Unternemen mit einem solchen Regelwerk langfristig erfolgreicher? Und wieso sollte die Politik in Sachen Quote klarere Ansagen machen?

All das und mehr erfährst du hier im zweiten Teil des Gesprächs.

Interview mit Türkân

Sexismus ist ja beim Thema Diversity auch ein großes Thema. Ich stelle mir das gerade in männerdominierten Unternehmen schwierig vor.

Das ist es eigentlich nicht. Wenn ich nur mit dem Thema Frauenförderung kommen würde, spreche ich den Männern ab, dass sie das bisher nicht berücksichtigt haben. Damit generierst du schon zwei Feindbilder: Mann gegen Frau. Wenn du das Thema breit öffnest, hast du das nicht. Du verteilst es einfach, weil jede*r für sich in einer anderen Dimension Zugang dazu findet.

Du entdeckst dann auch die eigenen Ungerechtigkeiten.

Richtig. Dafür gibt es unterschiedliche Formen von Privilegien-Checks, die sind sehr neutral und wertfrei. Damit mache ich dann Übungen zur Selbstverortung mit den Teilnehmenden. Im Anschluss geht es dann in die Reflexion und wir brechen unbewussten Bias auf (Bias: Verzerrung der Wahrnehmung, Vorurteile; Anm. d. Red.). Damit erkennt man, wie unglaublich schnell eigene Denkschleifen konstruiert werden. Mir selbst geht das auch so. Daher plädiere ich auch immer für einen ehrlichen Umgang mit sich selbst, frei von Eitelkeit und Perfektionismus.

Du kannst die Mauer nicht brechen, wenn du jemanden davor stellst und sagst: du machst da was falsch.

Stimmt. Und gleichzeitig kann man auch sagen: “Das ist ein altes Verhaltensmuster, dieser Gedankengang sollte nicht in meinem Kopf sein. Ich kann die alten Denkmuster nicht immer abstellen, aber ich agiere nicht danach.”

Ja, das wäre der nächste Schritt. Dass man das in der Selbstreflexion regelmäßig zugespielt bekommt. Aber auch der Austausch mit anderen kann hier hilfreich sein, damit man merkt, dass man mit solchen Denkmustern nicht allein ist. Sonst fühlt man sich immer an den Pranger gestellt. Das ist bei mir im Seminar auch wichtig, dass ich niemanden vorführe. Du kannst die Mauer nicht brechen, wenn du jemanden davor stellst und sagst: du machst da was falsch.

Zumal es auch um systematische Ungleichbehandlung geht, die wir in der Gesellschaft, nicht nur als Privatperson, weitertragen.

Ja, und Diversity ist auch kein Standbild. Das müssen sich auch alle vergegenwärtigen, die in meiner Branche arbeiten: was ich vor fünf Jahren über Diversity wusste, ist nicht mehr der Stand von heute.

Und was du heute weißt, wird nicht mehr der Stand in fünf Jahren sein.

Genau. Die Begriffe und Theorien um diese Profession ändern sich stark je nach gesellschaftlichen Agenden und Polaritäten. Vielleicht sind wir in fünf Jahren auf einer ganz anderen Ebene. Das Thema der Intersektionalität ist zum Beispiel in den letzten Jahren immer öfter in diesem Zusammenhang aufgetaucht, obwohl Kimberlé Crenshaw bereits in den 80ern damit arbeitete. Diese Dynamik wird sich in den nächsten Jahren auch noch weiterentwickeln. Deswegen sehe ich Diversity Management auch als Beratung für die Organisationsentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung.

Das ist ein bisschen wie Schadensbegrenzung: Wie können wir unser Image der politischen oder gesellschaftlichen Agenda anpassen?

Wie kann diese Einstellung im Unternehmen verinnerlicht werden, damit das auch langfristig Bestand hat?

Du kannst eine Policy, also ein verbindliches Regelwerk für dein Unternehmen schaffen. Anhand dessen kannst du dein Diversity-Bestreben innerhalb deiner Arbeitswelt kontrollieren und verfolgen. Wenn du innerhalb der Organisation Verbindlichkeiten hast, funktioniert auch die Internalisierung eines solchen Gedankens. Aber was nicht funktioniert sind punktuelle Seminare oder Trainings. Da ändert sich auf lange Sicht nichts, bzw. nur, wenn es in regelmäßigen Abständen durchgeführt und angeordnet wird. Keine fakultativen, sondern verbindliche Teilnahmen, so wie es ja auch bei fachlichen Trainings passiert.

Ansonsten wäre das nur an der Oberfläche angekratzt, damit man nach Außen zeigen kann: wir setzen uns damit auseinander.

Das ist ein bisschen wie Schadensbegrenzung: Wie können wir unser Image der politischen oder gesellschaftlichen Agenda anpassen? Und dann macht man eine Keynote oder das Thema der Firmenfeier wird daraufhin angepasst oder man macht einmal einen Vortrag. Aber eine richtige Strategie bedarf eben eines längeren Zeitraums, damit es Verstetigung findet.

In Pias Artikel erfährst du mehr über Performativen Aktivismus

Also Diversity ist nur dann erfolgreich, wenn Unternehmen das verselbstständigen und verinnerlichen. Würdest du sagen, dass man das auch andersrum denken kann: Unternehmen sind nur dann erfolgreich, wenn sie Diversity leben?

Auf jeden Fall. Der Erfolg oder die zukünftige Unternehmensentwicklung hängen mit der demografischen Entwicklung zusammen. Wenn du beobachtest, wie sich die demografischen Verhältnisse in unserer Gesellschaft entwickeln, kannst du gar nicht mehr in deiner homogenen, monokulturellen Mitarbeitendenschaft verweilen. Das sieht man ja auch in eurer Studie: Die Generation Z hängt sehr eng mit dem Purpose, mit dem Bewusstsein zusammen. Wofür arbeite ich, wie arbeite ich? Und wenn du es als Unternehmen verpasst, ein zielgruppengerechtes Image aufzubauen, dass du auch lebst, hast du keine Zukunft.

Schäuble ist die einzige Person mit einer sichtbaren Behinderung in der deutschen Politik. Und das auch nur, weil er bereits Politiker war, als er dem Attentat zum Opfer gefallen ist.

Ähnlich das Argument, das man im Bezug auf die Frauenquote oft hört: Hätten wir qualifizierte Bewerberinnen, würden wir sie auch einstellen. Aber sie haben ja auch ihre eindimensionale Sicht und Struktur geschaffen. Natürlich passt in dieses System nicht jede qualifizierte Frau*, die sich bewirbt. Da fehlt ein Umfeld, das angenehm und tragbar für alle ist. Und wenn du keine Fehlerkultur hast und dich selbst hinterfragst, bleibst du in deiner Eindimensionalität hängen.

Ja, das stimmt. Welche Repräsentanz erfahren diese Teilgruppen? Nehmen wir Schäuble. Das ist die einzige Person mit einer sichtbaren Behinderung in der deutschen Politik. Und das auch nur, weil er bereits Politiker war, als er dem Attentat zum Opfer gefallen ist. Hätte er bereits vorab im Rollstuhl gesessen, sähen seine Chancen ganz anders aus. Menschen verbinden damit sofort Schwäche und Leistungseinbußen. Nicht nur eine körperliche, sondern auch eine kognitive, mentale Schwäche. Du bist nicht arbeitsfähig und entsprichst nicht dem Duktus, den wir uns wünschen. Und den wir gewohnt sind.

Arbeitgeber*innen sind ab einer bestimmten Unternehmensgröße dazu verpflichtet, Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen. Machen sie das nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe leisten, die vergleichsweise gering ist. Sollte da deiner Meinung noch mehr von der Politik kommen?

Definitiv. Denn wenn du das der persönlichen Unternehmenspolitik überlässt, wird sich nicht viel, bzw. auf lange Zeit langsam etwas verändern. Du brauchst wirklich eine gesetzliche Quotenbestimmung für alle Teilbereiche. Auf Ebene des Öffentlichen Dienstes tut sich ja was, wenn auch langsam. Aber in der Privatwirtschaft sollte es noch vehementer umgesetzt werden. Vor allem weil der Widerspruch hier so groß ist: in diesen Branchen wird seit bestimmt zwei Dekaden Diversity Management verfolgt, aber dennoch finden sich diese Bemühungen nicht in entscheidenden und relevanten Repräsentanzen wieder.

In Sarahs Artikel kannst du nachlesen, wie wir die Marketing-Welt für Menschen mit Behinderung inklusiver gestalten können

Also würdest du dir die Anteile in der deutschen Gesellschaft anschauen und diese prozentual in Unternehmen widerspiegeln?

Ich denke, so streng muss es nicht gehandhabt werden, aber generell ja. Denn du hast damit als Bewerbende*r auch eine rechtliche Handhabe, dagegen anzugehen. Du hast zwar seit 2006 das AGG, aber das ist so lose gestaltet, dass du damit als Arbeitnehmer*in nicht viel machen kannst. Außerdem würde kein Unternehmen offen zugeben, dass sie dich nicht einstellen, weil du eine Frau bist oder weil du ein Kopftuch trägst. Deswegen ist die Situation ja so schwierig, denn du kannst diese Benachteiligung kaum beweisen. Und die Beweislast liegt am Ende bei dir! Ich denke, wenn das gesetzlich verankert wird, könnte sich das ändern. Manchmal geht es eben nicht anders. Manchmal muss man die Leute zu ihrem Glück zwingen.

Danke für das Gespräch, Türkân!

Gerne, Laura. Danke dir!

________________________________________

Du willst noch mehr über Diversity Management & Diversity im Marketing erfahren?

Laura Gutensohn
Laura ist Video Content Creator und primär für den Videocontent bei House of Yas verantwortlich. Während ihres Kommunikationdesign-Studiums legte sie ihren Fokus auf Film und Video und sammelte dort Erfahrungen in unterschiedlichen Disziplinen. Als Teil unseres Hoylistic-Teams schreibt sie Artikel mit den Schwerpunkten soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
Das könnte dich auch interessieren: