Immer wenn wir kommunizieren, geben wir auch etwas von uns Preis. Hinter jeder getätigten Aussage steckt eine bestimmte Botschaft. Aber gleichzeitig offenbaren sich in unseren Aussagen auch bestimmte Denkstrukturen, die wiederum problematisch sein können. Auch mit Blick darauf, was die Gen Z gezielt von Marken erwartet, spielt eine antidiskriminierende Kommunikation eine zentrale Rolle für Marketer*innen.
Wie Stereotypisierung mit diskriminierender Kommunikation in Verbindung steht und warum es insbesondere für Marketer*innen so bedeutsam ist, sich näher mit der Problematik hinter der kulturellen Aneignung zu beschäftigen, verraten wir dir in diesem Beitrag.
Inhaltsverzeichnis
Ein kurzer Disclaimer
Wir möchten hier nicht als eine Art Moralprediger*in auftreten. Vielmehr geht es um die Darstellung von relevanten Fakten und Informationen zu diesem Thema. Es erschien uns in Anbetracht dessen sinnvoll, einige grundlegende Prämissen darzulegen, die die Wichtigkeit der Themen Stereotypisierung und kultureller Aneignung untermauern:
- Prämisse 1: Es ist das Recht eines Menschen, im Falle einer empfundenen Diskriminierung auch genau dies anzusprechen und es so zu benennen.
- Prämisse 2: Es gibt Menschen, die sich durch Stereotypisierungen und Formen kultureller Aneignung diskriminiert fühlen.
- Prämisse 3: Es ist eine moralische Pflicht, aktiv gegen jegliche Form der Diskriminierung und ihrer Ursachen vorzugehen.
Denn: Erst durch das richtige Verständnis von Stereotypen und Formen kultureller Aneignung sowie dessen Effekte entsteht die Einsicht in die eigentliche Problematik dahinter. Folglich können wir besser gegen die ursächlichen Mechanismen vorgehen und (unbewusste) Diskriminierung systematisch benachteiligter Menschen vorbeugen.
WARUM WIR VON WEIß UND SCHWARZ SPRECHEN
„„Weißsein“ meint Menschen der Dominanzgesellschaft, die nicht von strukturellem, institutionellem und alltäglichem Rassismus betroffen sind.“ (Instagram: @hamidala_)
“Der Begriff Schwarz wird oft als Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft, schwarzen Menschen, Menschen dunkler Hautfarbe und people of colo(u)r gewählt. Das großgeschriebene „S“ wird bewusst gesetzt, um eine sozio-politische Positionierung in einer mehrheitlich weiß dominierten Gesellschaftsordnung zu markieren und gilt als Symbol einer emanzipatorischen Widerständigkeitspraxis. […] Schwarz und weiß sind hierbei nicht als Hautfarben, sondern als soziale und politische Konstruktionen in einem globalen Machtgefüge zu verstehen. So ist die Selbstbezeichnung Schwarz eine Form der Selbstermächtigung, die ebenfalls in der Abgrenzung von dem Begriff „nicht-weiß“ vollzogen wird.” (Quelle)
Was sind Stereotypen und wie entstehen sie?
Wenn man sich mit diskriminierende Kommunikation auseinandersetzt, kommt man um den Begriff des Stereotyps nicht herum. Ein wesentlicher Kritikpunkt liegt nämlich darin, dass diskriminierende Kommunikation die Reproduktion von Stereotypen aufrechterhält. Bevor wir jedoch weiter auf diesen Aspekt eingehen, sollte die Definition des Begriffs „Stereotyp“ Erwähnung finden:
STEREOTYP – DEFINITION AUS DEM DUDEN
„vereinfachendes, verallgemeinerndes, stereotypes Urteil, [ungerechtfertigtes] Vorurteil über sich oder andere oder eine Sache; festes, klischeehaftes Bild“ (Quelle)
Laut dieser Definition handelt es sich bei einem Stereotyp also um ein Urteil über Menschen, die auf eine Vereinfachung oder Verallgemeinerung beruht. Dabei ist zu sagen, dass Stereotypen zugleich hilfreich als auch gefährlich sind:
Einerseits werden Stereotypen immer wieder bestätigt und sie helfen uns dabei, verschiedenste Alltagssituationen richtig einzuschätzen und darauf basierend schnell Entscheidungen zu treffen. Wenn wir zum Beispiel abends in der Entfernung eine Gruppe offensichtlich alkoholisierter Personen auf unserer Straßenseite sehen, dann ist die Entscheidung, die Straßenseite zu wechseln, womöglich eine zugunsten unserer Sicherheit.
Andererseits können Stereotypen auch nicht immer zutreffen und das führt (leider) unweigerlich zu ungerechtfertigten oder fehlerhaften Urteilen. Das Gefährliche hierbei ist, dass wir Menschen oder ganze Menschengruppen so nicht nur einfach fehl einschätzen, sondern sie aktiv diskriminieren können.
Wenn sich in Deutschland beispielsweise eine Person mit arabischem Namen für eine Mietwohnung bewirbt und der*die Vermieter*in diese Person aufgrund dieses Namens ablehnt, weil er*sie von nicht-deutschen Menschen ein negativ geprägtes Vorurteil hat, dann bedeutet die Ablehnung aus diesem Grund eine klare Ungleichbehandlung aufgrund unveränderlicher Eigenschaften – kurz gesagt: das ist Diskriminierung, die auf Stereotypisierung basiert.
Die Sozialpsychologin Prof. Dr. Juliane Degner (Universität Hamburg) bringt in dem Podcast „Wissenswelle“ den Umgang mit Stereotypen wie folgt auf den Punkt:
„Das Denken in Kategorien hilft uns, Informationen einzuordnen und schnell Entscheidungen zu treffen. Es wird aber dann zum Problem, wenn wir mit den Kategorien andere Personen benachteiligen.“
Stereotypisierung erfolgt zu einem gewissen Grad automatisch und sie muss auch nicht zwangsläufig zu Diskriminierung von einzelnen Menschen oder Menschengruppen führen. Doch wir sollten uns bewusst machen, wie sich allgemeine als auch unsere eigenen Stereotypen entwickeln und inwiefern diese problematisch sind. Auf diese Weise können wir aktiv Einfluss auf die negativen Folgen unseres Denkens und letztlich auch Handelns nehmen.
Was wird unter „kulturelle Aneignung“ verstanden?
Für kulturelle Aneignung (engl. „cultural appropriation”) gibt es mehrere verschiedene Definitionsansätze, die sich untereinander in einzelnen Teilaspekten unterscheiden. Soziologe und Kunsthistoriker Jens Kastner führt in seinem Artikel „Was ist kulturelle Aneignung?“ für den Deutschlandfunk folgende Gedanken hierzu aus:
„Doch was ist […] kulturelle Aneignung eigentlich? Diese Frage lässt sich vielleicht ganz gut anhand eines Buchtitels beantworten. Das Buch […] heißt „Everything But The Burden“ und wurde 2003 vom US-amerikanischen Kulturtheoretiker Greg Tate herausgegeben. Die Aufsatzsammlung beschäftigt sich mit schwarzer Popkultur und ihr Untertitel macht das Thema deutlich: „What White People Are Taking From Black Culture.“
Dem Zitat, aber auch den verschiedenen Definitionsansätzen zufolge, können wir unter kulturelle Aneignung die Übernahme bestimmter Kulturbestandteile einer systematisch wie strukturell benachteiligten Menschengruppe in die weiße Kultur verstehen.
Besonders der Aspekt, dass weiße Menschen durch das Übernehmen kultureller Eigenheiten Profit schlagen können, aber die damit verbundenen Bürden der benachteiligten Kulturen gleichzeitig nicht tragen müssen, verdeutlicht das Kernproblem der kulturellen Aneignung in besonderer Weise.
Kulturelle Aneignung findet heute immer noch statt
In den letzten Jahren ist das allgemeine Bewusstsein um die Problematik der kulturellen Aneignung gestiegen. Um ein Beispiel zu nennen: Als im Frühjahr 2019 die Hamburger Kita Eulenstraße zur Faschingszeit die Eltern darum bat, für ihre Kinder möglichst keine Verkleidung zu wählen, die eine bestimmte Gruppe oder Minderheit diskriminieren könnte, folgte ein großes mediales Echo. Sogar einige hochrangige Politiker*innen wie unter anderem Markus Söder (CSU) äußerten sich öffentlich zu dieser Angelegenheit.
Die Elbkinder Vereinigung Hamburger Kitas begründete in einer Stellungnahme ihre Vorgehensweise wie folgt:
„Wir wollen auf jeden Fall verhindern, dass Stereotype gewählt werden, die auf Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder anderen Minderheit Bezug nehmen und zusätzlich negativ konnotiert sind und damit für Teile unserer Elternschaft verletzend sein könnten. Wenn man an früher durchaus übliche Verkleidungen als Afrikaner mit Baströckchen und Bananen als Kopfschmuck denkt, kann man die größere Vorsicht unserer Kitas gut nachvollziehen.“
Es geht um Kultursensibilität und damit auch um den reflektierten Umgang mit anderen Kulturen und Kulturbestandteilen. Insbesondere als weißer Mensch ist die Aneignung kultureller Eigenheiten von systematisch und strukturell benachteiligter Gesellschaftsgruppen problematisch, weil sie eben von betroffenen Menschen als diskriminierend empfunden werden können.
Cultural Appropriation wird offenbar häufiger praktiziert als weißen Menschen bewusst ist. Wenn man nicht unmittelbar negativ davon betroffen ist, ist es vermutlich ein längerer und komplizierterer Prozess, um einen geschärften Blick dafür zu entwickeln.
Hast du gewusst, dass die folgenden Beispiele kultureller Aneignung möglicherweise verletzend für betroffene Menschen sein könnten?
- Holi Festivals
- Haare zu Dreadlocks oder Braids flechten
- Faschings- bzw. Karnevalskostüme, die sich an Elementen bestimmter Kulturen bedienen, z.B. Warbonnets nordamerikanisch indigener Völker
- das Tragen einer Kufiya (auch als Palästinensertuch bezeichnet)
- den Slang von (Sub)Kulturen übernehmen
- Museen mit Ausstellungsstücken, die während der Kolonialzeit erbeutet wurden
Vielleicht kommt bei dir jetzt die Frage auf, was du dann überhaupt noch tun darfst und ab wann man selbst als weißer Mensch kulturelle Aneignung praktiziert und wann nicht. In einem Artikel von PULS wird auf diese Fragestellung kurz und prägnant auf den Punkt gebracht, ab wann Cultural Appropriation problematisch werden kann:
„Problematisch wird Cultural Appropriation dann, wenn Mitglieder einer privilegierten Gesellschaftsgruppe daraus Profit schlagen oder Sitten, Bräuche und Traditionen anderer Kulturen lächerlich machen.“
Fazit: Mehr Kultursensibilität = weniger Diskriminierung?!
Die stereotypisierte Darstellung von systematisch benachteiligten Menschen kann von eben diesen Menschen als diskriminierend empfunden werden. Das ist ein Problem, gegen das wir aber etwas tun können.
Ein erster Schritt liegt darin, sich allgemein näher mit Diskriminierung und ihrer verschiedenen Ausdrucksformen auseinanderzusetzen. So schärfen wir unseren Blick für mögliche Diskriminierungspotentiale, die hinter bestimmten Handlungs- und Denkmustern verborgen sind.
Insbesondere Werbe- bzw. Marketingbotschaften, die viele Menschen erreichen, sind hier besonders hervorzuheben. Erinnerst du dich vielleicht noch an die Astra-Plakatwerbung mit dem Claim „Wolle Dose kaufen?“, in der ein PoC in einem Meerjungfrau-Outfit und einige Dosen Astra in den Händen haltend dargestellt wurde? Diese Werbung ist eine Reproduktion rassistischer Stereotypen und ist gegenüber betroffenen Menschen diskriminierend.
Doch nicht nur aus diesen Gründen ist diese Astra-Plakatwerbung problematisch. Sie offenbart nämlich einerseits stereotypisierte Denkweisen über bestimmte Gesellschaftsgruppen innerhalb des Unternehmens und andererseits kann sie einen großen Imageschaden der Marke anrichten, der möglicherweise irreparabel bleibt.
Vor allem vor dem Hintergrund, dass sich der überwiegende Teil der Gen Z von Unternehmen eine klare Positionierung zu gesellschaftspolitischen Themen wie Tierschutz, Klimawandel oder eben Rassismus wünscht, erhält der Aspekt des Imageschadens eine noch höhere Relevanz.
Mehr Kultursensibilität trägt potenziell dazu bei, Diskriminierung zu unterbinden und nachhaltig abzubauen. Besonders die Marketer*innen hinter den Werbe- und Marketingbotschaften großer Marken sollten sich dessen umso mehr bewusst sein, da sie aufgrund der großen medialen Reichweite auch eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung innehaben.