Das klassische Auto mit Diesel- oder Benzinmotor hat ausgedient – denn es trägt dank seiner CO2-Emissionen zur Klimakatastrophe bei und benötigt fossile Rohstoffe, die in naher Zukunft zur Neige gehen werden. So weit, so bekannt. Verfolgen wir den gesellschaftlichen Diskurs, scheint die Lösung im Antrieb zu liegen: Verbrennungsmotor raus, Elektromotor oder Brennstoffzelle rein – Problem gelöst?
Mitnichten. Denn wenn wir langfristig in einer lebenswerteren Welt leben und deren natürliche Ressourcengrenzen respektieren wollen, müssen wir den Verkehr der Zukunft ganzheitlicher denken. Wie das aussehen kann und welche entscheidende Rolle die Digitalisierung dabei spielt, erfährst du jetzt.
Inhaltsverzeichnis
Vermeiden, verlagern, verringern: Mobilität neu denken
Warum können wir also nicht einfach so weiter machen wie bisher, nur mit etwas anderer Technik unter der Motorhaube? Weil der Individualverkehr in seiner jetzigen Form auch mit alternativen Antrieben Nachteile mit sich bringt:
- Die Produktion jedes Autos verbraucht Ressourcen. Insbesondere die heutigen Akkus von E-Autos sind auf Rohstoffe wie Lithium, Kobalt oder Gallium angewiesen. Deren Vorkommen werden nicht ausreichen, wenn nach wie vor jeder ein eigenes Auto (oder sogar mehrere) sein Eigen nennen will.
Außerdem ist der Abbau dieser Rohstoffe mit ökologischen und sozialen Verwerfungen verbunden: Gerade beim Kobaltabbau sterben zum Beispiel im Kongo regelmäßig Bergleute (darunter auch Kinder) in nur dürftig befestigten Stollen.
- Solange der Strom für E-Autos nicht vollständig aus erneuerbaren Energiequellen generiert wird, sind sie nicht emissionsfrei. 2019 stammten allerdings lediglich 43 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus regenerativen Quellen. Auch der Wasserstoffantrieb, der nicht auf Strom angewiesen ist, bringt aktuell noch zu viele Nachteile mit sich, um ihn in der Breite einzusetzen. Aktuell ist der völlig emissionsfreie Autoverkehr also selbst mit modernen Technologien noch nicht umsetzbar.
- Der Verkehr in seiner jetzigen Form ist weder effizient, noch trägt er zur Lebensqualität im urbanen Raum bei. Verstopfte Straßen, fehlende Parkplätze und teure Unterhaltskosten für ein Fahrzeug, das den weit überwiegenden Teil des Tages stillsteht, sprechen allesamt gegen das eigene Auto als primäres Verkehrsmittel. Weniger Parkplätze und schmalere Straßen würden Raum für Grünanlagen und soziale Begegnungsorte schaffen.
Das Verkehrsmodell der Zukunft muss visionärere Ideen bieten, als einfach nur den Antrieb auszutauschen. Stattdessen müssen wir Mobilität (sowohl Individual- als auch Güterverkehr) ganzheitlicher denken, um zu einer smarten und vernetzten Lösung zu kommen. Das Ziel: Verkehr vermeiden, verlagern und verringern:
- Manchmal ist der beste Verkehr schlicht gar kein Verkehr. Spätestens seit dem Corona-Jahr 2020 ist klar, dass wir manche Dienstreise auch durch eine Videokonferenz ersetzen können und einige Behördengänge durch E-Mails überflüssig werden.
- Ist doch eine Reise von A nach B nötig, sollte die zukünftig nicht mehr mit dem eigenen Auto, sondern entweder mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder emissionsfreien Fahrzeugen wie dem Fahrrad unternommen werden. Wird dann doch einmal zwingend ein Auto gebraucht, kann die*der Einzelne auf Carsharing setzen. Güterverkehr verlagert sich im Idealfall auf Schienen oder Schiffe.
Dass alternative Verkehrsmittel durchaus angenommen werden, zeigt das Beispiel E-Roller. Trotz heftiger anfänglicher Kritik expandieren europäische Anbieter und sammelten zuletzt dreistellige Millioneninvestments
Der Schlüssel zu Verkehrsoptimierung liegt in der Digitalisierung
Den Verkehr reduzieren und dabei mindestens genauso mobil sein: Was zu schön klingt, um wahr zu sein, ist dank digitaler Technologien tatsächlich möglich. Und dabei handelt es sich nicht um reine Zukunftsmusik. Werfen wir zum Beispiel einen Blick auf die aktuellen Landesinitiativen in Baden-Württemberg, die unter anderem die folgenden Projekte umfassen:
- Digitalisierung von Routingstrategien: Kommunen sammeln Verkehrsdaten, bündeln sie und stellen sie Navigationsdienstleistern zur Verfügung, sodass Navigationssysteme darauf zurückgreifen können. Auf diese Weise lassen sich hochfrequentierte Routen identifizieren und der Verkehr effektiver verteilen. Das vermeidet den Emissionsalptraum Stau und verringert Lärmbelastung sowie Luftverschmutzung für Anwohner.
- Autonomes Fahren: Damit Autos selbstständig fahren können, ist maximale Vernetzung notwendig. Fahrzeuge müssen miteinander kommunizieren können (sogenannte „Car2Car Communication“) und bestenfalls auf Daten zurückgreifen können, die Sensoren in der Umgebung liefern. Eine stabile IT-Infrastruktur ist also zwingend notwendig, damit das autonome Auto in unserem Straßenverkehr Wirklichkeit wird. Dafür existieren bereits eigene Testfelder – in den unterschiedlichsten Bundesländern.
- Ridepooling: Beim Ridepooling wird per App einen Shuttle-Service gerufen, der die*den Nutzer*in zum gewünschten Ziel transportiert. Der Clou: Das Shuttle transportiert nicht nur diese einzelne Person, sondern mehrere Fahrgäste gleichzeitig – quasi ein flexibler Bus auf Abruf. Datenbasiert lassen sich die Fahrtwünsche so bündeln, dass die individuellen Ziele möglichst effizient angefahren werden können. In Hamburg und Hannover bietet MOIA so einen Service bereits heute an.
Übrigens: Rund ein Drittel der Deutschen wäre bereit, einen solchen Shuttle-Service auch dann zu nutzen, wenn das Shuttle autonom fährt. Das bedeutet grundlegend veränderte Mobilitätschancen für diejenigen, die sich aktuell kaum selbstständig fortbewegen können – allen voran Kinder und Menschen mit körperlichen Einschränkungen.
Deloitte wagt die Prognose: 2035 würden rund ein Drittel der Deutschen einen autonomen Fahrdienst nutzen. (Quelle: Deloitte Research)
- Floating Car Data: Seit 2018 stellt das Verkehrsministerium Echtzeitdaten des aktuellen Verkehrsgeschehens zur Verfügung. Auf dieser Basis lassen sich perspektivisch zum Beispiel Ampeln mittels künstlicher Intelligenz so schalten, dass der Verkehr möglichst gleichmäßig fließt. Bereits jetzt sind weltweit 10.000 Ampeln mit den neuesten Audi-Modellen verknüpft, sodass die Autos die optimale Geschwindigkeit berechnen können, um eine grüne Welle genießen zu können.
- Echtzeitdaten für den ÖPNV: Auch in öffentlichen Verkehrsmitteln soll die Auslastung live erfasst werden. Auf diese Weise können besonders stark frequentierte Strecken zuverlässig identifiziert und in die Verkehrsplanung eingebunden werden. Passagiere genießen dadurch zuverlässig Informationen über Störungen und damit Planungssicherheit sowie Barrierefreiheit. Das macht öffentliche Verkehrsmittel zu einer attraktiveren Alternative und erleichtert den Umstieg.
Was bedeutet all das nun für die Verkehrsbranche?
Klar ist: Der Branche stehen fundamentale Veränderungen bevor. Und die wirken (vor allem für den Automotive-Bereich) auf den ersten Blick wenig rosig. Laut PwC könnte es bereits 2030 in Europa 80 Millionen Autos weniger geben – ein Rückgang von rund 29 Prozent.
Ersatzteile lassen sich perspektivisch vermutlich mit einem 3D-Drucker selbst herstellen. Gleichzeitig verlieren die hochspezialisierten Zulieferer für einzelne Maschinenelemente ihren Wettbewerbsvorteil, wenn ihr spezifisches Know-how nicht mehr benötigt wird. Elektromotoren sind in der Herstellung übrigens deutlich weniger komplex als Verbrenner und benötigen daher weniger Arbeitskräfte. Die Konsequenz: Über 400.000 Jobs sind in Gefahr.
Die Chance in der Krise nutzen: Vom Autoproduzenten zum Mobilitätsdienstleister
Bei all der Schwarzmalerei verstecken sich in diesem fundamentalen Wandel aber auch enorme Chancen. Damit die Branche die nutzen kann, ist eine Erkenntnis essenziell:
Die Verkehrsbranche (allen voran die Automobilhersteller) muss die Entwicklung hin zur Sharing-Economy aufgreifen. In Zukunft werden die Menschen zwar nach wie vor Mobilität wollen, aber nicht mehr zwingend ein eigenes Auto. Schon heute ist der eigene PKW nur noch für 36 Prozent der jungen Stadtbewohner*innen wichtig. Stattdessen werden Carsharing-, Shuttle- und Ridepooling-Services im Vordergrund stehen.
Die entsprechenden Unternehmen müssen also beginnen, sich nicht mehr als Produzent und Verkäufer von Produkten zu stehen, sondern vielmehr als Dienstleister, der Netzwerke und die benötigte IT zur Verfügung stellt, um Mobilitätslösungen anzubieten. Das spiegelt sich auch in den gesuchten Fachkräften wider. Während 2018 noch vor allem klassische Ingenieur*innen im Automobilbereich gefragt waren, wird der Bedarf innerhalb von fünf Jahren voraussichtlich um 17,4 Prozent sinken – stärker als in jeder anderen Branche. Stattdessen wird zunehmend des Know-how von IT-Ingenieur*innen vonnöten sein.
Sixt zeigt, wie es gehen kann
„Wir wollen den privaten Autobesitz ersetzen” – Das ist das klar erklärte Ziel von Sixt. Das Unternehmen will sich vom Autovermieter zum Mobilitätsdienstleister weiterentwickeln. Im Vordergrund steht dabei die eigene App. Hier können Nutzer*innen nach der einmaligen Registrierung weltweit klassische Carsharing-Angebote nutzen, aber auch direkt ein Taxi oder eine Limousine buchen. Die klassische Mietwagenbuchung ist komplett digitalisiert, das nervige Schlangestehen am Counter entfällt.
Eine besondere Rolle spielt außerdem die Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel (die sogenannte Cross Product Usage), die durch die Zusammenarbeit mit über 1.500 Partner*innen möglich wird. Findet ein*e Carsharing-Nutzer*in ein passendes Auto, das allerdings ein oder zwei Kilometer entfernt ist, kann sie*er über die App zum Beispiel direkt zusätzlich einen E-Scooter buchen, um dorthin zu kommen. Dafür gewährt Sixt sogar einen Rabatt auf die Scooter-Miete.
Über diese Vernetzung garantiert Sixt, dass Kund*innen nicht mehr nur einmalig während ihres Jahresurlaubs vom Mietwagenservice Gebrauch machen, sondern mehrfach wöchentlich Carsharing- und Buchungsdienste nutzen. So generiert das Unternehmen Flywheel-Effekte: Die*Der Nutzer*in wird von einem Anwendungsfall zum nächsten geleitet (zum Beispiel von der Automiete zur E-Scooter-Nutzung zur digitalen Taxibuchung) und bleibt Kund*in, statt nach dem einmaligen Kauf abzuspringen.
In diesem Podcast von OMR und Alexander Sixt wird auf den Fylwheel Effekt genauer eingegangen.
Fazit: Verkehr ganzheitlich verstehen und nutzen
Das eigene Auto als Statussymbol wird in naher Zukunft größtenteils der Vergangenheit angehören. Statt um Besitz wird es zunehmend um den flexiblen und unkomplizierten Zugang zu Mobilität gehen. Das bedeutet auch, dass sich Unternehmen nicht mehr nur ausschließlich auf ihr Produkt oder ihren Service konzentrieren können. Stattdessen muss Verkehr ganzheitlicher gedacht und das große Ganze im Blick behalten werden. Die wesentliche Frage sollte also nicht mehr lauten „Wie können wir unsere individuellen Produkte perfektionieren?“ sondern „Wie schaffen wir es, dass unsere Nutzer*innen möglichst bequem, schnell und ressourcenschonend von A nach B kommen?“