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Cancel Culture und Marketing: Unsere Lehren aus der Causa Oatly

Wer sich mit Hafermilch beschäftigt, kommt an Oatly nicht mehr vorbei. Im Supermarkt-Regal neben Mandel- und Sojamilch, an der Kaffeemaschine im gemütlichen Café um die Ecke, sogar auf riesigen Plakaten mitten in der Stadt: Oatly hat sich als gesunde, leckere und vegane Alternative, die unsere Umwelt schützen will, einen Namen gemacht.

Mit genau diesem Namen ist seit kurzem jedoch heftige Kritik verbunden: Denn Oatly ist einen Deal mit dem US-amerikanischen Investmentunternehmen Blackstone eingegangen. Für 200 Mio. US-Dollar ist Blackstone zu zehn Prozent am Hafermilchproduzenten beteiligt.

Die teils krassen Reaktionen in den sozialen Medien sind ein Paradebeispiel für die sogenannte Cancel Culture und werfen eine Frage auf: Wie sollen Unternehmen damit umgehen – und ist diese Form der Online-Kommunikation wirklich konstruktiv?

Oatly & Blackstone: Warum der Aufschrei vieler Hafermilch-Fans?

Das Investmentunternehmen Blackstone stand in den vergangenen Jahren immer wieder in der Kritik. Aktuell muss es sich vor allem dafür verantworten, dass CEO Stephen A. Schwarzman US-Präsident Donald Trump unterstützt und Geld in dessen Wahlkampf fließen ließ.

Zusätzlich wird dem Unternehmen vorgeworfen, an einer brasilianischen Firma beteiligt zu sein, die durch Rodung den Amazonas Regenwald zerstört.

Durch Oatlys Deal mit eben jener Investmentgesellschaft fühlen sich etliche Fans in ihren Werten verraten. Sie machen den Hafermilchproduzenten für die Abholzung des Regenwaldes mitverantwortlich und kritisieren die indirekte Unterstützung Trumps – letzteres trifft Fans umso mehr, da der US-Präsident in den letzten Jahren mehrfach den Klimawandel geleugnet hat. Etliche Kund*innen rufen deshalb zum Oatly-Boykott auf.

Quelle: Screenshots des Oatly Instagram Accounts

Wenige Tage nach diesem Aufschrei hat das Lebensmittelunternehmen ein Statement veröffentlicht, unter anderem mit folgendem Satz:

“Eben diese Investitionsentscheidung sorgt in einer Welt, in der Debatten so gefährlich schwarz-weiß geworden sind, für Schlagzeilen.” [1]*

*Statt der Formulierung “schwarz-weiß” wählen wir die Formulierung “binäre Denkweise”.

Kommunikation in sozialen Medien – was ist die Cancel Culture?

In den vergangenen Jahren wurde der Modebegriff “Cancel Culture”, der insbesondere in den sozialen Medien Umgang findet, geprägt. Hierbei werden prominente Persönlichkeiten, ganze Gruppen oder Unternehmen “gecancelt”, nachdem diese etwas Beleidigendes, Unangemessenes oder Anstößiges gesagt oder getan haben.

Das “Canceln” reicht dabei vom Unfollowing beziehungsweise Blockieren eines Social Media Accounts über öffentliche Beleidigungen bis zum Boykott-Aufruf. In der Regel beteiligt sich eine große Gruppe von Personen daran, die die betroffene Person oder das betroffene Unternehmen in Beiträgen attackiert.

Zwar kann es auch über die Grenzen der sozialen Medien hinausgehen, – etwa, wenn Personen von Events ausgeladen werden – oftmals jedoch bewegt sich das “Canceln” im Rahmen der sozialen Plattformen.

In einigen Fällen ist es durchaus berechtigt, bestimmte Brands oder Personen die (finanzielle) Unterstützung zu entsagen. Denn in diesen wurde mehrfach versucht, den jeweiligen Persönlichkeiten oder Unternehmen ihre Fehler aufzuzeigen und klarzustellen, warum ihre Aussagen und/oder Aktivitäten problematisch sind (Beispiel: J. K. Rowling).

Ohnehin ist es zulässig, wenn wir Personen oder Unternehmen nicht mehr unterstützen möchten, die (sich) wiederholt rassistisch, sexistisch, homophob, transfeindlich, klimafeindlich etc. äußern oder handeln.

Das Problem: Radikales “Canceln” – insbesondere bei einmaligen Fehlern – nimmt immer auch die Möglichkeit einer rationalen, konstruktiven Diskussion.

Canceln statt Diskutieren: Eine binäre Denkweise in Gut & Böse

Hinter der “Cancel Culture” versteckt sich die binäre Denkweise, welche die Welt in Gut & Böse teilt. Das hat auch Oatly in seinem Statement angemerkt: Während der Hafermilchproduzent bis dato als “gut” wahrgenommen wurde, ist Blackstone prinzipiell “böse” – was sich nun wiederum auf Oatly überträgt.

Die Problematik hinter dieser Denkweise: Grauzonen werden ignoriert, es ist kein Abwägen möglich, Aussagen wie “Es kommt darauf an” werden nicht akzeptiert. Dahinter steckt die Erwartungshaltung, dass Menschen und Unternehmen gleichermaßen eine reine Weste tragen und möglichst keine Fehler machen.

Diese Herangehensweise ist jedoch toxisch, da sie keinen Raum zur Debatte, Weiterentwicklung oder Education bietet.

Ja, Blackstone hat sich bisher eher als Klimagegner denn Umweltschützer einen Namen gemacht – und ist demnach vermutlich nicht die beste Wahl, um in ein Unternehmen zu investieren, das nachhaltige Produkte herstellt und die Umwelt retten will.

ABER: Nachhaltige Investoren haben deutlich weniger Geld – und genau das benötigt Oatly en masse, um die Welt verbessern zu können.

UND: Verwehren die zurecht kritischen Konsument*innen den “Bösen”, sich ändern und in die aus ihrer Sicht “richtige” Richtung entwickeln zu können, wie lässt sich dann die Welt verändern?

Wenn Oatly also dafür sorgen kann, dass Geld, was andernfalls in eher umweltzerstörende Maßnahmen fließen würde, nun in nachhaltige Produkte investiert wird – kann das nicht auch einen gesellschaftlichen Fortschritt bedeuten?

Natürlich ist Skepsis auf Verbraucherseite weiterhin angebracht. Denn Oatly steht nun in der Beweispflicht, dass es nicht von seinen Werten abrückt und sich der Blackstone-Deal tatsächlich gelohnt hat.

Ein Beispiel für eine konstruktive Diskussion der Oatly-Blackstone-Story gibt das Magazin Perspective Daily: Es hat zwei Mitarbeiter zu Wort kommen lassen, deren Meinungen bei diesem Thema unterschiedlicher nicht sein könnten. Und damit eben jenen Raum für faire und transparente Debatten geschaffen, der für unsere (Online-)Kommunikation so wertvoll ist.

Cancel Culture im Marketing: Welche Auswirkungen kann es auf uns haben?

Weil Cancel Culture neben Prominenten oft auch Unternehmen trifft, müssen sich Marketer*innen zwangsläufig damit auseinandersetzen.

Schließlich kann Cancel Culture weitreichende Folgen haben und den Ruf eines Unternehmens oder einer Person zerstören – insbesondere in den sozialen Medien, wo Tweets und Kommentare in Windeseile Eigendynamik entwickeln können.

Und nicht nur das: Laut einer Studie der Marketing-Agentur Edelman entscheiden sich 64 % der Konsument*innen weltweit für den Kauf oder den Boykott eines Produktes einzig und allein aufgrund der politischen Position der dahinterstehenden Marke.

Das Brand Management auf sozialen Plattformen wird demnach komplexer und komplizierter. Nicht zuletzt, weil sich heute zunehmend mehr Unternehmen und Personen des öffentlichen Lebens politisch positionieren, die ihre Social Follower verärgern könnten. Zugegeben: Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, denn ein Schweigen gilt schnell als ein Schuldeingeständnis.

Wie bauen wir eine sinnvolle Kommunikation in sozialen Medien auf?

Zum einen müssen Konsument*innen von der binären Weltsicht abkommen, denn wir bewegen uns tagtäglich zwischen verschiedenen Graustufen hin und her.  

Es ist in jedem Fall ein guter Ansatz, Personen oder Unternehmen zur Rede zu stellen, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Es ist umso besser, wenn ihnen in diesem Atemzug erklärt wird, was genau der Fehler war, warum das Ganze problematisch ist und wie sich solche Fehler zukünftig vermeiden lassen. Auf diese Weise können wir lernen.

Brands oder Personen jedoch öffentlich zu beleidigen oder Beiträge mit Boykott-Aufrufen zu kommentieren und jegliche Diskussionsversuche ins Leere laufen zu lassen, sorgt hingegen nur dafür, dass unsere Gesellschaft die Fähigkeit verlernt, offen, transparent und freundlich miteinander zu kommunizieren.

Bloßes Canceln spricht zudem unserem Gegenüber die Lernfähigkeit ab und erstickt jede (konstruktive) Diskussion im Keim. 

Zum anderen muss es für Unternehmen zunehmend zur Aufgabe werden, diese Entwicklung proaktiv mitzugestalten. Das bedeutet für Marketer*innen:

  • Lasst uns noch besser zuhören.
  • Lasst uns bei Diskussionen nicht in sture Verteidigungshaltung gehen, sondern proaktiv für einen Diskurs werben.
  • Lasst uns bei provozierenden Kommentaren Verständnis für unsere Kritiker*innen zeigen und somit versuchen, die verhärteten Fronten aufzubrechen. Gegenkommentare können beispielsweise mit “Wir verstehen deine Emotionen” oder “Es tut uns leid, dass wir diese Emotionen bei dir ausgelöst haben” beginnen. Bei Social Pilot findet ihr noch weitere Tipps zum Umgang mit negativen Kommentaren.
  • Lasst uns bei kontroversen Entscheidungen die Situation und Beweggründe ausführlich darlegen.
  • Wenn wir als Unternehmen oder Agenturen einen Fehler gemacht haben, sollten wir uns natürlich dafür entschuldigen und dafür sorgen, dass sich diese Fehler nicht wiederholen.
  • Lasst uns ehrlich bleiben – häufig haben Konsument*innen deutlich mehr Verständnis für Fehler und kontroverse Entscheidungen, als wir meinen.

Schlussendlich sollten sowohl Konsument*innen als auch Unternehmen an einer Diskussionskultur mitarbeiten, in der Ungerechtigkeit und Missstände klar benannt und abgelehnt werden; die dabei allerdings immer vollständiges Verstehen statt voreiliges Verurteilen kennzeichnet; in der wir connecten anstatt zu canceln und jede Chance ergreifen, gemeinsam in eine angemessene Debattenkultur einzutauchen.

Quellen

[1] https://www.oatly.com/de/ver%C3%A4nderung-ist-nicht-einfach

https://www.forbes.com/sites/kianbakhtiari/2020/09/29/why-brands-need-to-pay-attention-to-cancel-culture/#70e65803645e

https://perspective-daily.de/article/1414/probiere

https://www.fr.de/panorama/jk-rowling-neues-buch-boeses-blut-vorwurf-transphobie-harry-potter-autorin-90045507.html

https://www.edelman.com/news-awards/two-thirds-consumers-worldwide-now-buy-beliefs

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