HoY Logo

Verbot von sexistischer Werbung – geht es zu weit oder nicht weit genug?

Lesezeit: ca. 7 Minuten

TRIGGER-WARNUNG: Dieser Artikel enthält Informationen zu Sexismus und sexueller Gewalt.

 

Städte wie Leipzig, München und Bremen machen es vor, nun zieht Stuttgart nach: Sexistische Werbung im öffentlichen Raum soll verboten werden. Neue Kriterien sollen nach einem Antrag der Grünen sicherstellen, dass sexistische Darstellungen, aber auch generelle diskriminierende Werbung von der Bildfläche verschwinden.

Als 2018 Leipzig den deutschlandweiten Auftakt mit einem entsprechenden Verbot macht, stimmen alle Parteien dafür – mit Ausnahme der AfD.

Der nahezu einheitliche Konsens der Parteien; die steigende Anzahl der Städte, die nachziehen; die wachsende Awareness für das Thema Sexismus – all dies scheinen eindeutige Indikatoren für eine weitverbreitete Befürwortung des Verbots sexistischer Werbung zu sein. Es werden hier und da jedoch auch Stimmen laut, die ihre Meinungsfreiheit erstickt sehen.

Dieser Artikel soll aufzeigen, inwiefern das Argument der Meinungsfreiheit hinfällig wird, wenn der Preis hierfür die Diskriminierung ist.

Sexismus in der Werbung – wie ist das einzuordnen?

Die #MeToo-Debatte hat es geschafft, das Thema Sexismus aus dem negativ konnotierten Feminismus-Schatten in das Licht der breiten Öffentlichkeit zu schieben. Obwohl viele eine Meinung über Sexismus an sich, aber auch zu dem Verbot sexistischer Werbung zu haben scheinen, herrscht eine unverhältnismäßig große Unwissenheit über die Definition von Sexismus.

Sexismus bezieht sich auf die Diskriminierung der Frau, heißt es häufig. Sexismus hat immer etwas mit Sex oder Nacktheit zu tun, wird oft vermutet.

Tatsächlich bezeichnet Sexismus jedoch eine Form der Diskriminierung aufgrund des zugeschriebenen Geschlechts und damit einhergehende Erwartungen an die Geschlechterrollen. Damit wird deutlich, dass auch Männer von Sexismus betroffen sind – aufgrund der patriarchalen Strukturen in unserer Gesellschaft trifft Sexismus jedoch vor allem Frauen und nicht-binäre Personen.

Das Bild ist eine Werbeanzeige des Autoverleihers Sixt. Es zeigt das Lenkrad eines Autos. Auf das Lenkrad wurden zwei Zettel geklebt, mit dem Hinweis, wo links und rechts ist. Der Text dazu lautet: Ja, wir vermieten auch an Frauen.

Sexismus hat nicht immer etwas mit Nacktheit zu tun. Auch Klischees wie dieses festigen Vorurteile. (Quelle: Sixt)

Die Vorurteile und Erwartungen in Bezug auf die Geschlechterrollen sind ein strukturelles Problem und werden von Generation zu Generation weitergetragen. Diese Struktur zu erschüttern, ist ein Kampf, dem sich besonders seit der Frauenbewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer mehr Menschen anschließen.

Verfestigte Instanzen wie Sexismus, aber auch Rassismus zu zerstören, bedarf Geduld und geschieht in kleinen Schritten.

Das Verbot sexistischer Werbung scheint für einige daher ein unbedeutender, gar unwichtiger Schritt zu sein. Für andere ist es ein weiterer Sieg im Kampf gegen die Ungleichheiten.

Wenn Sexiness als Rechtfertigung für Sexismus dient

Wer entscheidet eigentlich darüber, was sexistisch ist?, wollen mehrere Instagram-User*innen unter einem Posting über das Verbot sexistischer Werbung in Stuttgart wissen.

Was sexistisch ist, darüber entscheidet die Definition des Sexismus selbst.

Die Organisation Pinkstinks hat für ihr Portal Werbemelder.in, auf dem sexistische Werbung gemeldet werden kann, folgende Kriterien festgelegt:

  • Geschlechtsbezogenes Über-/Unterordnungsverhältnis
  • Ausschließliche Zuordnung von Eigenschaften, Fähigkeiten und sozialen Rollen in Familie und Beruf aufgrund von Geschlecht
  • Sexuelle Anziehung als ausschließlicher Wert von Frauen
  • Suggestion von sexueller Verfügbarkeit
  • Normschöne stereotype Darstellungsweisen
  • Stereotype Zuordnung von Eigenschaften, Fähigkeiten und Rollen aufgrund von Geschlecht
  • Stereotype Zuordnung von Gegenständen oder Farbe aufgrund von Geschlecht

Dass einige an der Thematik scheitern, weil sie Sexismus falsch definieren und/oder nicht ernst nehmen, beweist dieser Autor in einem Artikel auf einem Marktforschungsportal.

Er vermutet, dass sexistische Werbung ohnehin kaum erfolgreich sei und es daher nur eine Frage der Zeit wäre, bis “allzu platte sexistische oder plump-geschmacklose Werbemaschen auf den Müllhaufen der Werbegeschichte” befördert würden.

Das Bild zeigt zwei Werbeplakate nebeneinander. Links ist eine Unterwäsche-Werbung von Calvin Klein zu sehen: Ein Model, das in Unterwäsche auf einem Stuhl sitzt.
Rechts ist eine Parfümwerbung von Tom Ford For Men zu sehen. Eine Frau drückt ihre Brüste zusammen, dazwischen ist eine Parfümflasche geklemmt. Ihr Mund ist geöffnet, als würde sie dabei stöhnen.

Werbung prägt unsere Wahrnehmung: Nackte Haut ohne Zusammenhang zum Produkt (rechts) formt das Bild der stetigen sexuellen Verfügbarkeit (Quelle: Calvin Klein / Tom Ford)

Den jungen Männern würde laut Autor zudem durch – in Anführungszeichen sexistische – Werbung kein “frauenfeindliches Geschlechterleitbild eingepflanzt.”

Darüber hinaus gehen “junge Frauen mit dem Thema weibliche Identität unverkrampft und auch spielerisch leicht um, [und] einen weiblichen Auftritt mitsamt eigener Sexiness zu pflegen, ist identitätsförderndes Verhalten für die jungen Frauen.”

Dies ist ein idealer Zeitpunkt, um noch einmal an die Definition von Sexismus zu erinnern. Diese ändert sich generationenübergreifend nicht, soll heißen: Nur weil viele junge Frauen ihre Sexualität und ihr Erscheinungsbild heute offener und selbstbewusster ausleben als in den 1970er Jahren (und seither sowohl die Mode als auch die Gesellschaft an Prüderie abgenommen hat), bedeutet das nicht, dass sie Sexismus gegenüber unkritisch bleiben.

Vielmehr dient das Argument der freien, unabhängigen Frau gerne als Vorwand, um Sexismus zu rechtfertigen.

Laut Autor ist für die junge Frau von heute Sexiness “ein selbstbewusstes Spiel mit Ästhetik und Style-Codes. Die Opferdenke, die hinter den ‘Sexismus-Verboten’ steht, geht an der psychologischen Realität […] vorbei.”

Dass Frauen heute ihre körperliche Entscheidungsfreiheit zurückfordern, während bis vor nur 23 Jahren eine Vergewaltigung der Frau durch den Ehemann nicht strafbar war, ist nur verständlich.

Dass einige Menschen dies als Einladung sehen, um über die Freizügigkeit ebendieser Frauen zu urteilen, ist mehr als unverständlich.

Meinungsfreiheit vs. Diskriminierung: warum ein Verbot sexistischer Werbung sinnvoll ist

Kommentar unter einem Posting zum Verbot sexistischer Werbung: Es dauert nicht lange da wird das Atmen verboten. Wer entscheidet denn darüber was sexistisch ist - die Gedankenpolizei? Kein Land in dem ich gerne lebe.
Kommentar unter einem Posting zum Verbot sexistischer Werbung: Jetzt müssen sich nur noch alle einig sein, was sexistisch ist. Bin gespannt!
Kommentar unter einem Posting zum Verbot sexistischer Werbung: Und das Ministerium für Wahrheit entscheidet natürlich, was sexistisch ist und was nicht.

Kommentare unter dem Instagram-Posting von Utopia.de zum Thema “Stuttgart verbietet sexistische Plakatwerbung”

In Deutschland gibt es zwar den Deutschen Werberat, der dafür sorgt, dass neben den gesetzlichen Regelungen auch moralische Werte in Print- und Digitalwerbung eingehalten werden. Jedoch fehlt ein einheitliches Gesetz, das diskriminierende Werbung in ganz Deutschland untersagt – zumal der Werberat ein selbstkontrollierendes Organ ist und höchstens eine Rüge erteilen kann.

Die Entscheidung und damit auch die Verantwortung liegt ergo bei den beworbenen Unternehmen bzw. den verantwortlichen Marketingagenturen.

Diese Eigenverantwortung ermöglicht Werbetreibenden, sich von der Frage nach Diskriminierung zu distanzieren.

Aus genau dem Grund ist ein Verbot sexistischer Werbung – nicht nur im öffentlichen Raum – notwendig. Sexismus ist ein Produkt der Gesellschaft; Klischeehafte Darstellungen, vermeintliche Schönheitsideale und stereotype Rollenverteilungen sind jedoch (auch) ein Produkt der Marketingindustrie.

Jegliche Reproduktion dieser Klischees auf Werbeplakaten, in Spots und anderen Marketingmaßnahmen festigt die bestehenden Vorurteile und damit auch die bestehenden Ungleichheiten – gegenüber und zwischen nicht-binären Personen, Frauen und Männern.

Ein Plakat der Organisation Pinkstinks, das auf die Folgen von sexistischer Werbung aufmerksam machen soll. Im oberen Teil sind zwei kleine Kinder beim Spielen zu sehen in den stereoypen Rollen: Das Mädchen sitzt an einem kleinen Spielofen und kocht, der Junge lehnt mit einem Spielhandy daneben und gibt den Chef.
Darunter ist eine ähnliche Szene mit Erwachsenen zu sehen. DIe Frau reicht dem Mann, der telefonierend am Tisch sitzt, eine Tasse Kaffee. 
Der Text lautet: Werbung wirkt länger als man denkt. Für gerechte Entwicklungschancen brauchen wir mehr Vielfalt und weniger Klischees in Werbung und Marketing.

Auf den Punkt gebracht (Quelle: Pinkstinks)

Unternehmen und Marketer*innen sollten daher ihre Verantwortung wahrnehmen und sich bewusst machen, wie weitgreifend die Auswirkungen ihrer Werbemaßnahmen sind. Jede diskriminierende Werbung ist ein Schritt in die falsche Richtung und sollte in dieser Welt keine Daseinsberechtigung haben.

Wer sich bei fehlender sexistischer Werbung in der Meinungsfreiheit eingeschränkt fühlt, sollte daher dringend die eigene Meinung überdenken.

Wer bewusst oder unbewusst sexistische Maßnahmen zu Werbezwecken einsetzt, sollte dringend die eigenen Werte überdenken.

Darf man jetzt gar nichts mehr sagen? – Wenn die Politik schweigt

Darf man jetzt gar nichts mehr sagen?, wird gerne gekontert, wenn sich Menschen in ihrer Ausdrucksweise kritisiert fühlen. Alles oder nichts, scheint hier die Devise zu sein. Damit wird das eigentliche Problem relativiert. Natürlich darf man noch etwas sagen. Die Frage ist nur was und wie.

Ein Flyer von Pinkstinks und dem FC Sankt Pauli. Er informiert über sexistische Werbung und zeigt anhand von Beispielen auf, wieso bestimmte Werbung problematisch ist.

Der Leitfaden des FC St. Pauli und Pinktinks zu sexistischer Werbung (Hier gehts zum Flyer)

Kommunikation ist ein wunderbares Werkzeug, das den Menschen seit Anbeginn der Zeit dabei hilft, sich zu verständigen und sich weiterzuentwickeln.

Das Problembewusstsein für die Folgen diskriminierender Kommunikation fehlt an vielen Stellen jedoch.

Dass Städte dieses Problem nun lokal lösen müssen, ist ein Versagen der Politik. Klare Richtlinien, wie sie es auch bei Werbung für Tabakprodukte und Gewinnspiele gibt, wären hier nicht nur wünschenswert, sondern notwendig.

Hier und da wird auf das Thema Sexismus ein Pflaster geklebt: Das Bundesfamilienministerium beauftragt die Hamburger Organisation Pinkstinks zum Beispiel mit dem Monitoring sexistischer Werbung. Nach zwei Jahren Laufzeit und mehreren Tausend Meldungen sexistischer Werbung bleibt das Ergebnis jedoch seitens Politik unberührt.

Wenn die Politik keine Konsequenzen aus den Folgen des Sexismus zieht, sollte zumindest im Marketing ein Umdenken stattfinden. Nur so können langfristig diskriminierende Strukturen gebrochen werden.

>>> Stichwort diskriminierende Kommunikation: Wieso ist gendergerechte Sprache eigentlich so wichtig? Wirf einen Blick in unseren Genderleitfaden und finde mehr über das Thema heraus!

Quellen

https://www.deutschlandfunk.de/leipzig-keine-sexistische-werbung-mehr-im-oeffentlichen-raum.1769.de.html?dram:article_id=419506

https://gender-glossar.de/s/item/13-sexismus

https://www.marktforschung.de/dossiers/die-branche-in-zahlen/imagestudie-marktforschungsdienstleister/einzelansicht/das-sexismus-werbeverbot-aus-sicht-der-psychologischen-marktforschung/

https://werberat.de/aufgaben-und-ziele

https://werbemelder.in/

https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/stuttgart-neue-regeln-gegen-sexistische-werbung-im-oeffentlichen-raum

Headerbild: Photo by Markus Spiske from Pexels

Das könnte dich auch interessieren: