Die Umwelt vor ihrer größten Herausforderung, Menschen in Notsituationen oder misshandelte Tiere – all das sind „Storys“, die uns bewegen. Inwiefern sie uns allerdings im Gedächtnis bleiben und zum Handeln anregen, ist abhängig davon, wie sie uns erzählt werden.
Gute Storytelling-Formate auf Social Media haben das Potenzial, viral zu gehen und somit eine große Masse an Menschen zu erreichen. Das können sich Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zunutze machen. Geschichten emotionalisieren und lösen bei Menschen tiefe Gefühle aus – sogar so tief, dass sie uns in Tatendrang versetzen und unser Denken ändern (können).
NGOs genauso wie Non-Profit-Organisationen (NPOs) haben mit Storytelling ein relevantes Tool zur Verfügung, um den sozialen Wandel voranzutreiben und als Inspiration für ihre Community zu dienen. In diesem Artikel schauen wir uns an, wie gutes Storytelling auf Social Media für deine gemeinnützige Organisation funktioniert.
Inhaltsverzeichnis
Wozu brauchen NGOs Storytelling auf Social Media?
Storytelling auf Social Media ist weit mehr als nur ein Buzzword im Marketing. Es ist ein ganzheitliches Konzept, das in das Image und die Wahrnehmung deiner Marke oder Organisation einzahlt. Während die einfache Auflistung von informativen Fakten schnell wieder vergessen wird, kann sich die emotionale Aufbereitung dieser ins Gedächtnis brennen. Und nicht nur in das Eigene: Gute Geschichten werden auch gerne weitererzählt. So werden aus Follower*innen gleichzeitig Botschafter*innen für deine Organisation.
NGOs sind oft darauf angewiesen, Unterstützung durch Spenden und Engagement zu erhalten. Der große Vorteil von Social Media ist, dass NGOs hier die Möglichkeit haben, auch ohne viel Budget eine große Masse zu erreichen – wenn das Storytelling stimmt. Reichweite in den sozialen Netzwerken hilft, den Bekanntheitsgrad zu erhöhen und neue Unterstützer*innen zu akquirieren. Gleichzeitig können Spendenaufrufe von der eigenen Website verlinkt werden.
Storytelling-Ein-mal-Eins: Nicht ohne mein Leitnarrativ
NGOs brauchen ein Leitnarrativ, das ihre Werte und Ziele klar kommuniziert. Es geht darum, eine Message zu transportieren, die über einen einzelnen Post auf Social Media hinausgeht. Darin steckt ein Versprechen an die Mitglieder und eine Einladung, sich für eine bessere Welt einzusetzen.
Für NGOs ist es wichtiger als für jedes Unternehmen, „Charakter“ zu besitzen. Das Leitnarrativ verrät, wofür die NGO einsteht. Anders als bei einer einfachen Story braucht das Leitnarrativ moralische Werte und nicht bloß emotionale Kraft. Verschiedene Storys formen jedoch gemeinsam ein Leitnarrativ, das das Versprechen an die Mitglieder und Engagierten symbolisiert.
Doch was genau macht ein gutes Leitnarrativ aus? Hier sind einige grundlegende Regeln und Tipps, die NGOs beachten sollten:
Vermeidet, plakativ und in Klischees zu kommunizieren
Eine der größten Herausforderungen für NGOs ist es, nicht zu plakativ für ihre Organisation zu werben. Es ist nicht erfolgsversprechend, wenn ihr euch als Retter*innen in der Not präsentiert. Ihr leistet wertvolle Arbeit und das dürft ihr auch zeigen. Doch großartiges Storytelling bedeutet, den Zugang zur Zielgruppe herzustellen – und nicht Content für euch selbst zu machen.
Dabei ist es außerdem von großer Bedeutung, jene, denen durch die NGO-Arbeit geholfen wird, nicht in eine Opferrolle zu drängen. Das ist zweifach kontraproduktiv: Zum einen bevormundet ihr damit die Personen, die ihr eigentlich empowernd wollt. Und zum anderen lenkt ihr den Blick der Zielgruppe auf das falsche Ziel. Es darf nicht um Mitleid, sondern muss um Zusammenarbeit und Begegnung auf Augenhöhe gehen. Die NGO sollte sich nicht über ihre Probleme definieren, sondern über ihre Werte.
Schafft Motivation durch Emotion
Storytelling funktioniert über Gefühle. Ein Happy End stimmt uns glücklich. Bewegende Geschichten, in denen es um Leid und Ungerechtigkeit geht, lösen Wut und Trauer aus. NGOs sollten versuchen, bestärkende Gefühle zu fokussieren, um Handlungsfähigkeit hervorzurufen.
Wut ist gut – wenn es zum Handeln verleitet. Negative Emotionen können allerdings auch Sorgen und Ängste entfesseln, die umgekehrt ein Gefühl der Machtlosigkeit und Ohnmacht auslösen können. Emotionen: Ja! Aber so, dass sie motivieren – ob zum konkreten Handeln oder Mitdiskutieren – statt zu hemmen.
Achtet auf Details, Details, Details
Je mehr detaillierte Tiefe eine Geschichte und ihr Inhalt hat, desto einfacher ist es, ihre Tragweite zu kommunizieren und sich mit ihr bzw. ihren Protagonist*innen zu identifizieren. Ihr wollt euer neues Hilfsprojekt vorstellen oder zu Engagement aufrufen? Es macht einen Unterschied, ob ihr einfach nur die Facts droppt – oder euch auf ein Thema fokussiert und dieses ausschöpft.
Das bedeutet, nicht lediglich Name, Hilfsangebot, Laufzeit und Ziel des Projekts zu nennen, sondern Fragen zu beantworten wie „Was macht das Hilfsprojekt anders als andere Projekte?“, „Welche Gesichter stecken dahinter?“ oder „Wie trägt es zu einer nachhaltigen Welt bei?“. Eure Zielgruppe ist schneller weg, als ihr #Engagement sagen könnt, wenn ihr nur auflistet, wie sie sich engagieren kann. Zeigt ihr, warum sie das machen soll.
Die Beschreibung eines Problems reicht nicht, um Menschen zu überzeugen, aktiv zu werden. Anstatt allgemein von Herausforderungen zu sprechen, zeigt Gesichter und liefert Identifikationsmöglichkeiten.
Betont kollektives Handeln
Damit Storytelling nicht nur im Momentum catcht, sondern auch nachhaltig effektiv ist, ist es für NGOs besonders essenziell, das kollektive Handeln und den Communitygedanken zu betonen. Indem ihr Follower*innen miteinbezieht und an einem Gemeinschaftsgefühl arbeitet, unterstützt ihr ein Gefühl von „Das geht auch mich was an“ und „Gemeinsam mit denen kann ich was verbessern“. Ihr schafft ein Wir-Gefühl, welches das Ich-Gefühl im Idealfall überlagert.
Leitfaden für bewegende Geschichten
Ob Blockbuster oder Social-Media-Carousel – Storytelling funktioniert im Grunde überall gleich: ein kontextualisierender Anfang, eine spannende Mitte und ein problemlösendes Ende.
Das Core Story Canvas ist ein hervorragendes Werkzeug, um diese Struktur zu planen. Es hilft, den nötigen Kontext zu schaffen, Werte und Moral zu vermitteln sowie überzeugende Charaktere zu entwickeln.
Eigene Darstellung der Core Story Canvas (Quelle: https://houseofyas.de/content-strategie/storytelling/)
Auf der Sachebene geht es darum, den Kontext der Core Story bzw. Kerngeschichte eurer NGO zu klären. Hier werden die grundlegenden Fragen beantwortet: Was ist das Ziel der NGO? Welche Werte und moralischen Prinzipien stehen hinter ihrem Engagement? Wie agiert sie – und vor allem: für wen? Diese Ebene schafft das Fundament, auf dem eure Story aufbaut.
Denn auf der Storyebene werden die Werte – eure und die eurer Kund*innen – in den Vordergrund gestellt und in Konfliktsituationen eingebettet: „Wir verfolgen diese Werte und auf Grundlage dessen wollen wir diesen Konflikt in der Welt überwinden.“ Das ist nicht nur wichtig, um Authentizität zu erlangen, sondern auch um Spannung aufzubauen. Es geht darum, die Kernbotschaft zu finden und durch emotionale und nachvollziehbare Erzählungen zu vermitteln.
Sind die Werte einmal herausgearbeitet und in Beziehung zur Umwelt gesetzt, steht also der Identifikation des Leitnarrativs nichts mehr im Wege. Daraus wiederum lassen sich eure Held*innen, Themen, Kanäle und Unter-Stories ableiten.
Klingt noch etwas abstrakt? Einen ausführlicheren Beitrag zur Core Story Canvas findest du hier.
Beispiele für Storytelling auf Social Media von NGOs
Ob Video, Bild, Infografiken oder Text – grundsätzlich stehen dir alle Formate offen, um erfolgreich Storytelling zu betreiben. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass es dafür immer teuer produzierte Videos braucht. Durch Videos können Emotionen zwar besonders gut transportiert werden, da sie als audiovisuelles Format alle Sinne ansprechen. Doch auch ausdrucksstarke Single Images, Claims oder Carousels können Geschichten erzählen.
Schauen wir uns anhand folgender Beispiele einmal an, wie gutes Storytelling für NGOs auf Social Media aussehen kann:
Wer ist Europa? – Sea-Watch e.V. auf TikTok
Die Kampagne „Wer ist Europa?“ von Sea-Watch in Zusammenarbeit mit der feministischen Formation Lebefrauu ist ein eindrucksvolles Beispiel für kraftvolles und zielgruppenspezifisches Storytelling. Mehrere längere Videos mit derselben Protagonistin, eine personifizierte „Europa“, zielen darauf ab, das Bewusstsein für die humanitären Krisen im Mittelmeer zu schärfen. Die Videos und Message wurden dabei plattformspezifisch aufbereitet.
TikTok-Kanal @seawatchcrew, Screenshots von Posts: https://www.tiktok.com/@seawatchcrew/video/7308437782790180128 und https://www.tiktok.com/@seawatchcrew/video/7306179996639448352
Die Kampagne stellt ein(e) bessere(s) und gerechtere(s) Europa in den Mittelpunkt, das(/die) „nicht zuschaut, wenn Menschen in den Nachrichten untergehen“. Europa wird als starke, unabhängige Frau dargestellt, die sich gegen festgefahrene Regeln und repressive Behörden wie Frontex einsetzt. Diese Darstellung ist divers, aufrüttelnd, Berlin coded und spricht die jüngere Zielgruppe an.
Auf TikTok wurden schon vor offiziellem Start der Kampagne Teaser-Videos gepostet, die die Betrachter*innen direkt ansprechen: „Wer ist Europa?“ – „Finde es heraus: 24.11.“
TikTok-Kanal @seawatchcrew, Screenshot von Post: https://www.tiktok.com/@seawatchcrew/video/7303580025977048352
Generell wurden für TikTok spezifisch kurze Videos geschnitten, die den Sehgewohnheiten auf der Plattform gerecht werden. User*innen werden mit einem Hook, schnellen Cuts und einem Call-to-Action abgeholt. Aus den anderthalb-minütigen Videos auf der Kampagnenlandigpage werden 15-Sekünder, deren Wirkung genauso stark ist – so geht Storytelling auf Social Media.
POV: Leben auf der Flucht – Kindernothilfe auf Instagram
Im Rahmen der Be-A-Gamechanger-Kampagne für Kindernothilfe e.V. haben wir von House of Yas einen separaten Instagram-Account für die fiktive Figur Roshni konzipiert. Roshni musste ihre Familie und Heimat in Afghanistan verlassen und hat sich auf einen schwierigen Weg nach Europa begeben. Auf der Flucht hat sie ihren Cousin verloren, Menschen mit dem gleichen Schicksal getroffen und für ihr Rechte gekämpft.
Instagram-Kanal @roshnis.memories, Screenshots
Unser Ziel auf @roshnis.memories ist es, den Follower*innen authentische Einblicke in ein Leben auf der Flucht zu geben, indem aus der Betroffenenperspektive berichtet wird. Denn das, was Roshni auf dem Kanal erzählt, beruht auf wahren Geschichten von jungen Geflüchteten. Sie ist KI-generiert, was es uns erlaubt, einen Identifikationscharakter zu schaffen, ohne Geflüchtete vor die Kamera zu stellen.
Statt lediglich ein Reel oder eine Format-Reihe zu produzieren, haben wir uns für einen gesamten Account entschieden, der den Raum bietet, die Story fokussiert über einen längeren Zeitraum hinweg und mit unterschiedlichen Formaten zu erzählen. Es gibt keinen anderen Content, der von Roshni ablenkt. Das ermöglicht, besonders in die Tiefe zu gehen.
Das Ziel der Kindernothilfe, das Thema einer jungen Zielgruppe zugänglich zu machen, sind dabei stets im Blick. Follower*innen bekommen bei dieser Form des Storytellings das Gefühl, einer Person, ihrem Alltag und ihrer Geschichte zu folgen – entsprechend ihren täglichen Sehgewohnheiten.
Trends & einfach machen – WWF auf Instagram
WWF is brat! Und zeigt, wie Storytelling auf Social Media auch in einzelnen Postings geht, die nicht gleich ein Format oder eine Kampagne sind. #Brat, der Titel des Albums von CharliXCX, ist einer DER Social-Media-Trends im Sommer 2024. WWF springt nicht nur mit auf, sondern nutzt ihn für die eigenen Ziele.
Brat sein heißt so viel wie „sich nicht an die Regeln halten“ und „machen, worauf man Bock hat“. Und brat sind bei WWF nicht die Menschen, sondern die Vielfalt der Tierwelt. Auch das grüne Design mit einfacher schwarzer Typo ist typisch brat.
Instagram-Kanal @wwf_deutschland, Screenshots von Post: https://www.instagram.com/p/C96r85-MO4P/?hl=de&img_index=1
Einfacher geht es kaum, nicht nur Zielgruppenverständnis zu zeigen, sondern auch eine Story zu erzählen, die den Markenkern transportiert: „Die Natur bzw. Tierwelt ist vielfältig und besonders. Wir – WWF mit dir – dürfen nicht zulassen, dass sich das ändert.“
In einem anderen Posting reicht ein abfotografiertes DINA4-Blatt vor einem leeren Supermarkt-Regal aus, um eindrucksstark auf den #EarthOvershootDay hinzuweisen: der Tag im Jahr, an dem die Ressourcen der Erde verbraucht sind.
Instagram-Kanal @wwf_deutschland, Screenshot von Post: https://www.instagram.com/p/C-IDJ3uovw6/?hl=de
Statt eine Grafik à la „Heute ist Earth Overshoot Day“ zu gestalten, wird hier auf kreative Weise eine fiktive Geschichte mit realem Bezugspunkt erzählt: „Nach diesem Tag gibt es keine Produkte mehr zu kaufen.“ Die Message an die User*innen ist klar: Stellt euch vor, das wäre wirklich so!
Eine etwas längere Caption liefert außerdem weiterführende, faktenbasierte Informationen, die die Dringlichkeit der Message des Visuals noch mal untermauert und die Leser*innen zum Handeln aufruft.
Ob einfach oder aufwendig – Hauptsache, die Story stimmt
Storytelling auf Social Media für NGOs erfordert Kreativität und Empathie. Es geht darum, Geschichten mit Mehrwert zu erzählen, die Menschen berühren und zum Handeln anregen. Wählt das zu euch passende Format, achtet auf Details und betont das kollektive Handeln. So könnt ihr eure Botschaft effektiv verbreiten und eine starke Community aufbauen. Setzt auf authentische Emotionen und lasst euch nicht davon abhalten, berührende Geschichten zu teilen.
Wichtig ist: Bleibt euch treu, bleibt authentisch und vermeidet Klischees! Denn am Ende sind es nicht die aufwändigen, sondern die gehaltvollen Geschichten, die die Kraft besitzen, die Welt zu verändern.
Quellen: