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Sexismus im Marketing – damals, heute und morgen

Sex Sells ist eine der bekanntesten Marketing-Floskeln und gleichzeitig ein Paradebeispiel für Sexismus im Marketing. Nicht nur beschreibt der Ausdruck, dass sexualisierte Inhalte (bevorzugt in Form von nackten Frauenkörpern) finanziell erfolgreich und damit gerechtfertigt sind. Er führt außerdem dazu, dass die abgebildete Nacktheit, die man mit Sex Sells rechtfertigen will, mit Sex bzw. sexueller Verfügbarkeit gleichgesetzt wird. Und hier wären wir auch schon beim gesamtgesellschaftlichen Problem, das Sexismus im Marketing mit sich bringt: ebenselbiger wird normalisiert.

Marketing hat insbesondere in Form von Werbung einen erheblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Marketer*innen sind Meinungsbildner*innen – und tragen damit eine Verantwortung in ihrer Kommunikation

In diesem Artikel erfährst du, wie Sexismus und Marketing seit jeher Hand in Hand gehen und wieso eine Welt ohne sexistisches Marketing nicht nur wünschenswert, sondern auch machbar ist.

Um den Rahmen dieses Artikels nicht zu sprengen, beschränken wir uns auf Marketing ab Mitte des 20. Jahrhunderts.

Sexismus und Marketing: eine kleine Geschichtsstunde

Vorab sollte gesagt werden: Sexismus ist kein zartes Wort. Es lädt zu hitzigen Debatten ein, es polarisiert und es schreckt ab. Zudem wird es fälschlicherweise häufig nur mit Sex oder Nacktheit gleichgesetzt.

Um sich dem Thema aufrichtig zu widmen, sollte man sich zunächst also mit der Begrifflichkeit des Sexismus anfreunden. Das Wort existiert nicht nur, um einen Ist-Zustand zu beschreiben (die Diskriminierung aufgrund des sozialen Geschlechtes). Es hilft uns auch dabei, eine Gesellschaft anzustreben, die ohne Sexismus funktioniert.

Wollen wir uns die Zukunft des Marketings ausmalen, sollten wir zunächst einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wie hat sich Marketing in den letzten Jahrzehnten entwickelt?

Die Marktentwicklung zwischen Bewegung und Tradition

Marketing ist generell dann notwendig, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt. In einer Welt, in der fast alle fast immer fast alles kaufen können, ist diese Prämisse also gegeben.

Mitte des 20. Jahrhunderts sieht dies allerdings noch anders aus. Nach dem zweiten Weltkrieg liegt der Fokus für Unternehmen vor allem auf der Produktoptimierung, für Marketing steht daher weniger Budget zur Verfügung.

Erst nachdem sich in den 1960er Jahren Angebot und Nachfrage einpendeln, wird Marketing überhaupt zum wiederkehrenden Thema für Unternehmen und Marken. Radio, Fernsehen und diverse Printmedien haben in der Zwischenzeit Einzug in den Haushalt erhalten und bieten die optimale Spielwiese für Unternehmen.

Ab den 70er Jahren wird das Angebot für Verbraucher*innen so groß, dass Unternehmen beginnen, die Märkte und Zielgruppen zu segmentieren.1 Zeitgleich sorgen die Frauen- und Homosexuellenbewegungen für ein Umdenken in der Rollenverteilung und der Geschlechtererwartung. Doch wo Bewegung ist, sehnen sich auch viele Menschen nach klaren Grenzen. Gefunden wird diese in der Sicherheit klassischer Rollenbilder.

Trotz Impulsen der Gleichberechtigung werden die tradierten Werte der vorherigen Jahrzehnte also weiter reproduziert.

Die Marktentwicklung zwischen Gesetz und Wirklichkeit

Unternehmen nutzen dieses Bedürfnis und geben den Konsument*innen das, was sie glauben zu wollen: Produkte, die mit einem maßgeschneidertem Image kommen, um nach Außen zu bestätigen, wofür sie stehen. Damit erhält die traditionelle Rollenverteilung offiziell und endgültig Einzug ins Marketing.2 

Wird noch 1977 das Gesetz abgeschafft, das Ehemännern ermöglicht, den Arbeitsvertrag der eigenen Frau zu kündigen, werden die Frauen in den darauffolgenden Jahrzehnten in der Werbung dennoch an ihre “eigentliche” Rolle erinnert: die Hausfrau, die Mutter.

Wird noch 1997 das Gesetz abgeschafft, das Ehemännern ermöglicht, ihre Frauen straffrei zu vergewaltigen, werden die Frauen in den darauffolgenden Jahrzehnten in der Werbung dennoch an ihre “eigentliche” Rolle erinnert: die sexuell jederzeit Verfügbare.

Und obwohl Rollenbilder wie diese aus heutiger Sicht rückschrittlich wirken, finden sie regelmäßig Einzug in Marketingkampagnen großer und kleiner Brands und Unternehmen.

Wie Marketing bestehende Rollenbilder aufbrechen kann

Google Translate trifft bei genderneutralen Sprachen fragwürdige Entscheidungen (Quelle: Twitter @DoraVargha)

Er ist Arzt, sie ist Krankenschwester, er ist klug, sie ist hübsch. Rollenbilder finden wir nicht nur als Vorurteile in unseren eigenen Köpfen – auch Big Brain Google kennt sich damit bestens aus. Bei diversen Tests mit genderneutralen Sprachen spuckt Google Translate Übersetzungen aus, die besser in die Rollenvorstellungen der 1950er Jahre als in das digitale Zeitalter passen.

Dabei ist gerade die Digitalisierung, die Bewegungen wie #BlackLivesMatter und #MeToo hervorbringt, ein Motor für unvoreingenommenes Denken. Gleichzeitig bietet sie jedoch auch viel Platz für Hass und Hetze.

Wie unsere Studie OK Zoomer – Marketing für die Gen Z zeigt: von Brands und Unternehmen wird eine stärkere Haltung zum Thema Sexismus gefordert.

Ergebnis unserer Studie "Ok Zommer - Marketing für die Gen Z"
54% der Frauen und 33% der Männer fordern von Marken eine stärkere Haltung zu Sexismus.
Ergebnis unserer Studie “Ok Zoomer – Marketing für die Gen Z” (2021)

Sexistisches Marketing wird jedoch nicht zwingend direkt als solches enttarnt. Geschlechtsbezogene Über- und Unterordnungsverhältnisse, tradierte Rollenbilder und normschöne stereotype Darstellungen werden zu häufig nicht mit dem kritischen Blick betrachtet, den sie verdient hätten.

Best Practice 1 – Tabus brechen und Realitäten formen

Umso wichtiger ist es, dass sich der Blick auf jene Brands und Unternehmen richtet, die Sexismus im Marketing keinen Platz geben; die sich von veralteten Vorstellungen lösen; die sich an Realitäten orientieren anstatt an überholten Ideologien. Eben jene, die ihre Verantwortung als Meinungsschaffende wahrnehmen und entsprechend weitsichtig agieren.

Beginnen wir mit einem Produkt, das in der Gesellschaft ebenso wie in der Werbung stark tabuisiert wird: Menstruationsartikel.

Über das Thema Periode wird gerne geschwiegen, und wer sich (ohne selbst davon betroffen zu sein) mal ein Urteil erlaubt, schmückt es nicht selten mit einem Wort wie ‘ekelhaft’. Das führt nicht nur dazu, dass Frauen* sich bereits in jungen Jahren für eine natürliche (und schmerzhafte) Körperfunktion schämen. Auch im Marketing wird das Tabu reproduziert, indem beispielsweise Periodenblut blau dargestellt wird.

Doch was genau ist an blauem Blut sexistisch? Die Frage sollte eher sein: Was ist an rotem Blut so dramatisch? Wir sehen es in Werbung für Versicherungen und Pflaster, in Film und Fernsehen springt es uns ohne Altersbegrenzung en masse entgegen. Aber in Kombination mit dem Uterus scheint Mann sich einig: rotes Blut ist ein No-Go. Und das obwohl jeden Tag rund 800 Millionen Menschen menstruieren.

Wie mit Menstruation tabulos und natürlich umgegangen werden kann, zeigt die Kampagne Blood Normal der Marke Love Libra.

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Kampagne ‘Blood Normal’ von Love Libra

Menstruieren wird hier zum Alltagsthema, das sich in Konversationen einfügt und von Konventionen löst.

Das Bild der ‘reinen’ Frau in weißer Hose, die entspannt und schmerzfrei, unsichtbar blutend durch das Leben schwebt, mag für manch eine*n eine angenehmere Kost sein. Eine Idealvorstellung, in der das eigentliche Thema einfach übermalt wird.

Auch Love Libra spielt mit einer Idealvorstellung; jedoch mit einer, die nach vorn blickt, und die von Alltagssexismus und systematischem Sexismus gelernt hat. Eine Idealvorstellung, in der das eigentliche Thema mit den Farben der Realität und Selbstbestimmung gemalt wird,

Best Practice 2 – Authentizität vs. Bullshit

Schön: ein Wort mit großer Wirkung? (Quelle: Zalando/Horizont.net)

Sie ist schön, er ist erfolgreich, sagt Google Translate. “Männer sind schön”, sagt Zalando in seiner neusten Kampagne.

Drei Worte, die in ihrer Simplizität genau das auf den Punkt bringen, was sexistische Werbung so vehement versucht zu leugnen: Schönheit ist nicht den Frauen vorbehalten.

Schlagwörter wie Stärke, Energie und Respekt sind die wiederkehrenden Beschreibungen, mit denen ein Männerideal konstruiert wird, das keinen Freiraum für persönliche Entfaltung hat.

Dass toxische Maskulinität nun mit der aufkommenden Antisexismus-Welle ebenfalls an den Strand gespült wird, öffnet neue Türen. Nicht nur für die Marketingwelt, nicht nur für Männer, sondern für eine Gesellschaft, die bereit ist, sich endlich von jahrtausendealten Normen zu lösen.

Wenn Big Player wie Zalando die Städte mit antidiskriminierender Werbung schmücken, wird gerne zwei Mal hingeguckt. Ist das authentisch?, fragen sich viele zurecht. Besonders die Gen Z hat einen “eingebauten Bullshit-Detektor”, wie Urs Meier von Projekt Z im Interview mit uns erklärt.

Ob Zalando dauerhaft und authentisch auf dieser Schiene fährt oder nur als Trittbrettfahrer*in eine Haltung fordernde Generation erreichen will, wird sich zeigen.

Sicher ist aber, dass besonders die Giganten der Modeindustrie Einfluss auf gesellschaftliche Themen wie Sexismus und Rassismus haben. Eine Kampagne nur des Images wegen wird sich im Shitstorm-Zeitalter ohnehin kaum auszahlen.

Genau diese Erfahrung hat auch Twitter im Jahr 2018 gemacht, wie das Magazin Dazed berichtet. Nach einem solidarisch angehauchten Feminismus-Spot wird die Social Media Plattform mit Kommentaren überhäuft, die sich deutlich kritisch gegenüber der Marketingkampagne zeigen. Der Konzern solle ein entsprechendes Budget besser gegen rassistischen und sexistischen Content einsetzen, verlangen die Stimmen der Vernunft.

Twitter

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Der Feminismus-Spot von Twitter erntet nicht nur gute Kritik (Quelle: Twitter)

Wie Rasha Abdul Rahim, Co-Director von Amnesty Tech. erklärt, sind vor allem Frauen*, darunter insbesondere BIPoC, von Beleidigungen und verbalen Misshandlungen auf Twitter betroffen. Dies führe dazu, dass viele dieser Frauen* ihre Stimme zurückhalten oder sich selbst zensieren – um nicht zur Angriffsfläche für Hasskommentare zu werden.

Twitter kann zwar schärfer gegen ebensolche Inhalte vorgehen und die Symptome der Frauenfeindlichkeit bekämpfen. Am Ende des Tages braucht es jedoch eine Gesellschaft, die bereit ist, sich zu wandeln und die Ursache anzugehen.

Sexistisches Marketing arbeitet gegen diesen Wandel. Es arbeitet gegen eine inklusive Welt, in der sich Menschen unabhängig von Normen und Vorurteilen, von Rollen und Erwartungen entwickeln können.

Fazit: Sex(ism) doesn’t sell

Lange bevor Marketing zum festen Unternehmensbaustein wird, werden Männerprodukte bevorzugt mit leicht bekleideten Frauen beworben (Quelle: vintage.es)

Schuhcreme für Männer lässt sich am besten durch halbnackte Frauen in einladender Pose verkaufen, dachte sich der Hersteller Griffin Microsheen in den 1950er Jahren. Nun könnte man meinen, dass wir 70 Jahre später unisono schreien: “Was für eine sexistische Kackscheiße!”

Aber noch heute setzt sich in der Marketingwelt immer und immer wieder eine Stimme durch. Diese Stimme will, dass eine halbnackte Frau in einladender Pose etwas verkauft, das mit Nacktheit oder Sex nichts zu tun hat. Diese Stimme will, dass eine Angehörige einer marginalisierten Gruppe genau das einsetzt, wofür sie ursprünglich unterdrückt wird: ihren Körper. Diese Stimme denkt, sie hätte einen Anspruch auf ebendiesen Körper. Diese Stimme wird wütend, wenn die Person in dem Körper selbstbestimmt über diesen entscheiden will. Diese Stimme gilt es zu ersticken.

Es wird Zeit, dass nicht nur Unternehmen und Brands umdenken, sondern dass auch Marketingagenturen ihr Veto einlegen, wenn Kund*innen nostalgisch in Richtung Sex Sells gucken und Rollenbilder reproduziert sehen wollen, die auf Unterdrückung beruhen.

Denn wer sich sehnsüchtig nach den guten alten Zeiten umdreht, wird die an sich vorbeiziehen sehen, die ihren Blick in die Zukunft gerichtet haben.

 

 

Sexistische Werbung gehört verboten? Hier kannst du mehr erfahren!

 

Quellen

Headerbild: Photo by Mika Baumeister on Unsplash

1 https://blog.hubspot.de/marketing/marketing-geschichte

2 https://pinkstinks.de/war-spielzeug-schon-immer-geschlechtergetrennt/

https://mukulrathi.co.uk/google-translate-is-biased/

https://www.dazeddigital.com/science-tech/article/39304/1/twitter-release-feminist-ad

https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/09/twitter-failing-women-over-online-violence-and-abuse/

Laura Gutensohn
Laura ist Video Content Creator und primär für den Videocontent bei House of Yas verantwortlich. Während ihres Kommunikationdesign-Studiums legte sie ihren Fokus auf Film und Video und sammelte dort Erfahrungen in unterschiedlichen Disziplinen. Als Teil unseres Hoylistic-Teams schreibt sie Artikel mit den Schwerpunkten soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
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