Die Tourismusbranche ist laut Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) eine der ersten Wirtschaftssektoren, die u.a. mit der Online-Buchung von Flügen und Hotels Geschäftsprozesse auf globaler Ebene digitalisiert hat. Das rasant gestiegene Tourismusaufkommen der letzten Jahrzehnte stellt die Branche nun allerdings vor große Herausforderungen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Ökobilanz. Liegt auch hier die Lösung im Digitalen? Dieser Artikel zeigt Chancen und Trends für einen nachhaltigen Tourismus.
Inhaltsverzeichnis
Besondere Verantwortung der Tourismusbranche
Das exponentielle Wachstum der weltweiten Reiseankünfte ist enorm: Laut UNWTO verreisten im Jahr 1950 um die 25 Millionen Menschen. Im Jahr 2019 bewegten sich über 1,46 Milliarden Tourist*innen weltweit. Der globale Massentourismus zieht intensiven Auto-, Flug- und Binnenverkehr nach sich und trägt dadurch zu Luftverschmutzung und zum Klimawandel bei.
Laut Umweltbundesamt sind touristische Aktivitäten, wie
- die An- und Abreise
- die Beherbergung
- Gastronomie
- Freizeitaktivitäten
maßgeblich für diverse Umweltauswirkungen verantwortlich, wie
- Primärenergieverbrauch
- Flächenverbrauch
- Wasserverbrauch
- Biodiversitätsverlust
- Treibhauseffekt
- Gewässerbelastung
Die Verantwortung für eine nachhaltige Tourismusentwicklung wird von Tourismusverbänden und -organisationen bereits im Jahr 1997 in der Umwelterklärung der deutschen Tourismuswirtschaft anerkannt.
Die Erklärung wurde als Leitbild für nachhaltige Tourismusentwicklung beschlossen, jedoch aufgrund mangelnder Umsetzung wegen wirtschaftlicher statt ökologischer Prioritäten von der Akademie für Umweltforschung und -bildung in Europa kritisiert.
Ohne Ökologie keine Ökonomie. Deshalb ist ein nachhaltiger Tourismus alternativlos. Klar ist auch, dass die digitale Infrastruktur ein zentraler Baustein hierfür ist.
Digitale Customer Journey
Die gute Nachricht zuerst: Die Customer Journey lässt sich im Tourismussektor heute nahezu komplett digital abbilden – von der ersten Inspiration bis zur tatsächlichen Buchung und teilweise sogar das Reisen selbst kann virtuell stattfinden.
Das heißt auch: Einige Prozesse sind heute dank Online-Buchung und Künstlicher Intelligenz agil und nachhaltig gestaltbar – weggefallen sind etwa der Weg zum Reisebüro oder die Unmengen an Papier für Broschüren, Tickets und Rechnungen.
Die schlechte Nachricht: Diese Erleichterungen im Buchungsprozess haben das physische Reisen enorm begünstigt und den globalen, umweltbelastenden Massentourismus angefeuert.
Digitale Prozesse dürfen nicht nur bis zum Check-in-Bereich vor dem Abflug reichen, sondern müssen konsequent bis zum Ende der Customer Journey gedacht werden.
Das Reisen selbst muss digital(er) werden!
Die digitale Customer Journey (Quelle: Kompetenzzentrum Tourismus)
Nachhaltige Digitaltrends der Branche
Sharing Mobility – Moving like Locals
Mobilität statt Besitz – der Trend geht wie beim Carsharing weg vom Erwerb eines Autos hin zum Zugang zu Mobilität. Der Sharing-Gedanke ist nachhaltig und gemeinnützig und ist deshalb prägend für neue Trends auch über die Tourismusbranche hinaus.
Bereits heute finden wir in jeder größeren Stadt Shared Mobility Angebote per eBike oder eScooter. Längere Strecken und Urlaubsreisen können gemeinsam über Carsharing- oder Mitfahrportale geplant und umgesetzt werden.
Laut einer Studie von Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung zur potenziellen Nutzung und Akzeptanz von geteilten Mobilitätsdiensten, lässt sich der Trend insbesondere für Freizeitwege erkennen. Die Befragten äußerten eine positive Einstellung zu geteilten Mobilitätsangeboten wie Carsharing, Bikesharing, E-Scootersharing und Ridesharing.
Durch die Verbreitung von Shared Mobility Angeboten erlangen Tourist*innen ähnliche Bewegungsfreiheit und Autonomie wie Locals.
Wie schon bei Airbnb geht der Trend zu “Living (and moving) like Locals“. Shared Mobility macht die Infrastruktur individuell erschließbar, sodass Tourist*innen eigenständig Städte via Fahrrad, Scooter und Car Pooling erkunden können.
Anbieter*innen von Infrastruktur wie Städte, Kommunen, aber auch private Unternehmen diese Art könnten mit erweiterten Sharing-Angeboten Verkehrsaufkommen in Ballungsgebieten entgegenwirken. Lokale Freizeitanbieter bietet Shared Mobility Potenziale, um Tourist*innen noch mehr in das Native-Leben zu integrieren, den Austausch mit Einheimischen zu fördern und letzteren damit unmittelbare Teilhabe an Gewinnen einer touristischen Reise zu ermöglichen.
CO2 Kompensation
Die CO2 Kompensation lässt sich als weiterer Trend im Nachhaltigkeitsbestreben der Tourismusbranche erkennen. Laut einer Marktforschungsstudie aus dem Jahr 2020 ist Flugscham bei den Befragten allgegenwärtig.
Nur 17 % der Befragten gaben an, ohne schlechtes Gewissen zu verreisen. Der Rest steigt bereitwillig auf die Bahn um und kompensiert CO2 über Anbieter wie Atmosfair oder Primaklima.
Interessant ist, dass 70 % der Gen Z Kompensations-Angebote für Flugreisen überhaupt nicht kennen. Dieser Trend bietet Potenzial, denn nahezu die Hälfte ist bereit, einen Mehrpreis für umweltfreundliche Lösungen zu bezahlen.
Umweltfreundliche Reiseanbieter*innen können Kompensationsangebote prominent innerhalb der Customer Journey integrieren und Tourist*innen im digitalen Buchungsprozess Handlungsmöglichkeiten aufzeigen sowie zugleich Transparenz hinsichtlich der eigenen Klimaschutzmaßnahmen darlegen, wie es der Ratgeber „Freiwillige CO2-Kompensation durch Klimaschutzprojeke“ ausführt.
Reisen ohne Reisen
AR/VR-Technologien bieten neue Möglichkeiten, das Reisen selbst zu digitalisieren. Ansätze wie TimeRide Köln bieten einen Gegenentwurf zu tatsächlichen Ausflügen und ermöglichen Städtetrips oder Stadtführungen losgelöst von physischen Fortbewegungsmitteln.
Allerdings braucht es für ein ortsunabhängiges Erlebnis nicht zwangsläufig eine VR- oder AR-Technologie. Airbnb hat – gezwungen durch die Corona-Reiseregulierungen – das Reisen auf den Kern reduziert: der Austausch mit anderen Kulturen und Menschen. Und diesen Ansatz losgelöst von physischem Reisen neu interpretiert.
Innerhalb von 14 Tagen erweiterte Airbnb das Geschäftsmodell und bietet seither sogenannte Online-Experiences mit verschiedenen Menschen des öffentlichen Lebens und Sportler*innen an.
Ein Schritt, der sicherlich auch dazu beigetragen hat, dass Airbnb trotz Corona Ende 2020 an die Börse gegangen ist.
Think global, stay local
Ein digitalisierter Tourismussektor bietet neue Möglichkeiten ressourcenschonend zu wirtschaften – und zwar über die gesamte Customer Journey hinweg.
Tourist*innen, die CO2-neutral reisen möchten, müssen mit individualisierbaren Angeboten abgeholt werden. Eine Herausforderung ist die Sensibilisierung der Reisenden für CO2-Kompensationen und entsprechend attraktive und prominent platzierte Kompensationsangebote.
Shared Mobility ist ein ebenso relevanter Nachhaltigkeitshebel, der insbesondere bei jüngeren Generationen immer stärker nachgefragt wird und die Umweltbelastung während einer Reise reduzieren kann.
AR und VR wiederum können das Reisen gleich ganz von physischen Fortbewegungsmitteln entkoppeln. Airbnb zeigt, dass auch Online-Formate ohne Augmented oder Virtual Reality reizvolle Angebote für Tourist*innen sein können und verdeutlicht, was die Digitalisierung des Tourismus im Sinne der Nachhaltigkeit im Kern ausmacht: nicht das Reisen, sondern das Erlebnis und der Austausch mit fremden Kulturen, Menschen und Ländern.