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Interview zum Thema Hate Speech im Netz mit den Neuen deutschen Medienmacher*innen

Die NGO Neue deutschen Medienmacher*innen (NdM) ist ein Netzwerk von Journalist*innen mit und ohne internationaler Geschichte. Durch ihre Arbeit wollen die Mitwirkenden des Vereins die gesellschaftliche Diversität und Vielfalt in Deutschland auch in der Medienlandschaft widerspiegeln – und zwar in allen Bereichen und auf allen Ebenen.

Anna* betreut seit 2019 das Community Management auf den Social-Media-Kanälen der Neuen deutschen Medienmacher*innen. In diesem Interview sprechen wir mit Anna über Hate Speech und die Missstände in der deutschen Medienlandschaft, was das Thema Diversität angeht – und darüber, welchen Stellenwert das Community Management für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins einnimmt.

*Der Name Anna ist frei erfunden, da unsere Interview-Partnerin unerkannt bleiben möchte.

Interview mit den Neuen deutschen Medienmacher*innen

Hi Anna, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst! Stell dich doch zu Beginn bitte einmal kurz vor: Wer bist du und was machst du bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen genau?

Wie schon kurz erwähnt, kümmere ich mich bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen um das Community Management auf unseren Social-Media-Kanälen. Zurzeit sind wir auf Facebook, Twitter, Instagram und YouTube vertreten, wobei für uns der Fokus auf Twitter liegt, da wir als Journalist*innen vor allem dort unsere Zielgruppe haben.

Meine Aufgabe besteht darin, die Kommentarspalten zu beobachten und zu reagieren, sowohl auf Negatives, aber besonders auch auf Positives. Für uns ist es wichtig, unsere Community, also die Leute, die uns feiern, zurückzufeiern.

Ich beantworte Fragen, gehe auf Kommentare ein, muss natürlich auch auf Kritik eingehen (wenn diese konstruktiv formuliert und berechtigt ist), aber natürlich auch Hass und Hetze löschen und die Verfasser*innen im schlimmsten Fall blocken, melden und gegebenenfalls anzeigen.

Zur Vision der Neuen deutschen Medienmacher*innen: Wieso ist es besonders in der Medienlandschaft so wichtig, Diversität zu leben und umzusetzen? Was läuft aktuell falsch in der deutschen Medienlandschaft?

Gerade die Medien sollten die Gesellschaft so abbilden wie sie ist. Das sehen wir so aber noch nicht. So hat in Deutschland mittlerweile jede*r Vierte einen sogenannten Migrationshintergrund (26 %) – in den deutschen Medienbetrieben ist es einer Schätzung aus dem Jahr 2016 nach nur jede*r Zwanzigste – das sind gerade mal 5 %. Die Medienhäuser sind nach wie vor sehr männlich und weiß.

Dadurch wird ein großer Teil der Bevölkerung in und von den Medien nicht repräsentiert. Das führt zu einer unausgewogenen bis hin zu einer problematischen Berichterstattung, in der über Migrant*innen und ihre Nachkommen, wenn sie denn überhaupt vorkommen, zum großen Teil in einem negativen Zusammenhang berichtet wird.

Fehlende Repräsentation wirkt sich aber auch negativ auf die Medienbetriebe aus. Wer nicht repräsentiert wird, der schaltet nicht ein oder liest ein bestimmtes Medium nicht. Allein wirtschaftlich gedacht wäre es also von großem Vorteil, diese Gruppen zu berücksichtigen.

Wir haben dazu Mitte März einen Diversity Guide erstellt und herausgegeben, den wir den Medienbetrieben kostenlos zur Verfügung stellen. Einzige Bedingung ist, dass sich die Chefredakteur*innen eine Stunde Zeit für uns und unser Anliegen nehmen und wir ihnen die Argumente für mehr Diversität nennen können.

Auch haben wir 2018 einen Negativpreis, die „Goldene Kartoffel“ ins Leben gerufen, der von uns für besonders unterirdische Berichterstattung im Zusammenhang mit der Einwanderungsgesellschaft, vergeben wird. Er wird ebenso geliebt, wie gehasst.

Mit euren Aktionen und eurem Aktivismus stoßt ihr leider nicht immer auf Zuspruch (Beispiel: Wetterberichtigung) – was denkst du, worin der Unmut vieler verankert liegt?

Die Gründe für den Unmut sind unterschiedlich. Manche bezichtigen uns der Islamisierung Deutschlands und sehen uns als „Agenten für den großen Austausch“, sind also Verfechter von Verschwörungsmythen. Andere vertreten schlicht und einfach rassistische und rechtsextreme Ansichten.

Was aber zu beobachten ist, ist eine große Angst, Privilegien abgeben zu müssen. Diese Angst ist vor allem bei „biodeutschen“ Männern zu beobachten. Die negativen Kommentare auf unseren Kanälen stammen überwiegend von Männern.

Neue Deutsche Medienmacher*innen: Wetterberichtigung

Bei der Aktion Wetterberichtigung haben die Neuen Deutschen Medienmacher*innen 13 Patenschaften für die Hoch- und Tiefdruckgebiete gekauft – und diesen mal andere Namen gegeben. (Quelle: Wetterberichtigung.org)

Seit 2016 betreuen die Neuen deutschen Medienmacher*innen die deutsche Kampagne des No Hate Speech Movement. Es handelt sich dabei um eine internationale Kampagne, die sich seit 2013 weltweit gegen Hassrede im Netz und in den sozialen Netzwerken engagiert. Hassrede – was ist das überhaupt?

Hate Speech (zu deutsch: Hassrede) ist, wenn Worte und Bilder als Waffe eingesetzt werden, bewusst, gezielt und voll auf die Zwölf. Wenn Menschen abgewertet und angegriffen werden oder wenn zu Hass oder Gewalt gegen sie aufgerufen wird. Oft sind es rassistische, antisemitische oder sexistische Kommentare, die bestimmte Menschen oder Gruppen als Zielscheibe haben.

Hate Speech ist ein politischer Begriff. Dementsprechend ist die Definition dessen politisch umkämpft. In Deutschland ist sie keine juristische Kategorie, auch, wenn ihr einige Straftatbestände nahekommen, besonders die der Volksverhetzung. Auch die Kriminalitätsstatistik der Polizei kennt Hate Speech nicht als eigenständige Kategorie.

Wir denken, dass Hassrede Personen nicht zufällig trifft – sie richtet sich vor allem gegen diejenigen, die bereits gesellschaftlich benachteiligt sind oder diejenigen, die sich mit diesen Menschen solidarisieren. In Deutschland ist dafür auch der Begriff gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bekannt: Er umfasst Stereotype, Vorurteile und Diskriminierungen gegen Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe unserer Gesellschaft.

Welche Menschen oder Gruppen sind besonders von Hate Speech betroffen?

Eine Umfrage des Europarats hat ergeben, dass Lesben, Schwule, Bi-, Trans*-, Intersexuelle und Queere (kurz: LGBTQI*) hauptsächliches Ziel von Hasskommentaren waren, gefolgt von Muslimen und Frauen – hier zeigt sich, dass Hassrede Macht- und Diskriminierungsstrukturen der Gesellschaft fortsetzt.

Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass vor allem BIPoC, und hier besonders Frauen, von Hate Speech betroffen sind, vor allem diejenigen, die laut sind und ihre Meinung vertreten. Aber auch linke Aktivist*innen sind häufig Opfer. Zunehmend werden auch Journalist*innen zur Zielscheibe von koordinierten Shit Storms.

Ihr seid ja auf unterschiedlichen Plattformen aktiv – denkst du, dass Hate Speech ein generations- oder plattformübergreifendes Problem ist? Nimmst du hier Unterschiede wahr zwischen Altersgruppen bzw. Plattformen?

Tatsächlich gibt es zwischen den jeweiligen Plattformen Unterschiede. Twitter ist dafür bekannt, dass der Ton rauer ist, vieles ist spitzzüngiger formuliert und leider muss man sagen, lebt Twitter von der Empörung. Somit sind es vor allem solche Tweets, die Reichweite bekommen.

Auch auf Facebook kommt es oft zu Hass und Hetze, jedoch ist es da eher so, dass diese Menschen viel innerhalb eigener Gruppen kommunizieren. Auch hier haben wir es schon erlebt, dass gezielt dazu aufgerufen wurde, uns zu attackieren.

Am angenehmsten ist es tatsächlich auf Instagram, was allerding nicht bedeutet, dass da alles in Ordnung sind. Auch von Instagram wissen wir, dass Gruppierungen mit menschenfeindlichen Ideologien vertreten sind und die Plattform gerne für ihre Sache und zu Rekrutierung nutzen.

Dennoch werden wir hier weit weniger mit Hass und Hetze konfrontiert, da Instagram – und ich würde da auch in dem Zusammenhang auch TikTok nennen – visueller sind und weniger auf Text zielen. Hate Speech kann jedoch auch in Bildform passieren, was wir auf diesen Kanälen gehäuft sehen.

Hasskommentare und Trolling in Social Media sind nichts Neues. Anna, warum ist es trotzdem so wichtig, konsequent gegen Hate Speech anzugehen? Wächst das Problem, und wenn ja, warum?

Wie schon erwähnt, haben Hass und Hetze das Ziel, gewisse Menschen mundtot zu machen. Da BIPoC, Frauen, die LGBTQI*-Community und viele andere marginalisierte Menschen kaum in den Medien und Medienhäusern stattfinden, hat sich Social Media zu ihren Sprachrohren entwickelt, wo sie eine Stimme haben und sichtbar werden. Hass und Hetze versuchen dies zu verhindern.

Gegner*innen des No Hate Speech Movements argumentieren oft damit, dass man ihnen das Recht auf freie Meinungsäußerung nehmen und sie zensieren will. Tatsächlich ist es andersherum. Menschen, die von Hass und Hetze bedroht und eingeschüchtert werden, ziehen sich aus Social Media zurück und sind tatsächlich diejenigen, denen das Recht, sich frei zu äußern, genommen wird.

Deswegen ist es so wichtig, dagegen anzugehen. Gleichzeitig haben wir nicht zuletzt am Beispiel Walter Lübcke gesehen, dass aus Hass und Hetze, die online anfing, brutale Realität werden kann. Worten folgen oft Taten.

Das Thema Hassrede steht mehr im Fokus als früher, was sehr gut ist. Ob das Problem wächst, ist leider nicht statistisch erfasst. Subjektiv betrachtet, würde ich, nicht zuletzt seit Beginn der Pandemie, zu einem klaren „Ja“ tendieren. Dies ist aber eine subjektive Empfindung, die nicht wissenschaftlich belegt ist.

Warum ist ein gut durchdachtes Community Management so bedeutsam? Und wie geht das?

Ein gutes Community Management sollte immer da sein. Zu oft sehen wir, dass das nicht der Fall ist und teilweise sogar strafrechtlich relevante Kommentare und Aussagen stehen bleiben.

Hass und Hetze dürften jedoch nicht unkommentiert bleiben. Man muss dabei immer die stillen Leser*innen bedenken, die die Mehrheit der Nutzer*innen darstellen. Sie bekommen den Eindruck, dass die Hasskommentator*innen mit ihrer Aussage unwidersprochen durchkommen. Gleichzeitig hält es sie davon ab, selbst zu kommentieren aus Angst, ins Visier der Hetzer*innen zu geraten. Damit geht uns ein stückweit auch die Debattenkultur verloren.

Deshalb ist es so wichtig, auf Hasskommentare zu reagieren: Unternehmen sollten unbedingt in ein gutes Community Management investieren. Viele Probleme könnten so gelöst werden, bevor sie überhaupt entstehen. Gerade als Unternehmen kann man auf Hass und Trolle sehr humorvoll reagieren, was auch bei Follower*innen zusätzlich Pluspunkte bringen kann. Beispiele für eine gute Moderation sind die amerikanische Fast-Food-Kette Wendy’s oder auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Humor ist generell ein gutes Mittel, um Trollen und Hatern die Luft aus den Segeln zu nehmen.

Wie man gekonnt auf Hate Speech reagieren kann, hat das No Hate Speech Movement in einem Helpdesk zusammengefasst, der Community Manager*innen beratend zur Seite steht.

Beleidigungen, Drohungen und Verleumdung – was empfiehlst du im Ernstfall?

Das Wichtigste ist, Social Media und damit auch die Kommentarspalten ernst zu nehmen. Beleidigungen, Drohungen und Verleumdungen sind alle strafrechtlich relevant. Nicht zögern, solche Sachen zur Anzeige zu bringen. Mittlerweile gibt es dafür Apps und die Anzeige ist mit drei Klicks raus. Sehr zu empfehlen sind die Apps Hassmelden oder MeldeHelden von Hate Aid. Bei beiden kann man die Anzeige auch anonym aufgeben.

Anna, vielen Dank für deine Zeit. Hast du abschließend noch einen goldenen Tipp für alle, die sich in den Kommentarspalten immer wieder mit schwierigen Situationen konfrontiert sehen?

Wie beim Wetter gilt auch hier: jeder Shit Storm vergeht. Wenn man immer wieder in die Situation kommt, kann man darüber nachdenken, die Kommentarspalten an Freunde abzugeben, die das schlimmste löschen, denn irgendwann geht das an die psychische Substanz. Vor allem aber (und leider ist das leichter gesagt als getan), nicht einschüchtern lassen! Wir von den NdM wissen genau, von welcher Seite der Gegenwind kommt. Das gibt uns die Gewissheit, dass wir einiges richtig machen. Und je stärker der Gegenwind, desto richtiger liegen wir. Und im Zweifelsfall: Blocken, blocken, blocken!  

Mehr zum No Hate Speech Movement

Für alle, die sich noch weiter über Community Management und den richtigen Umgang mit Hate Speech informieren wollen, hat das No Hate Speech Movement umfassendes Informations- und Hilfsmaterial zusammengefasst.

Annika Müller (she/her)
Annika ist Project Manager und betreut verschiedene Content-Projekte bei House of Yas. Während ihres Masters in North American Studies war sie bereits als Content Creator bei uns tätig. Heute bringt sie ihr Faible für Wort und Schrift außerdem als Teil unseres Hoylistic-Teams zum Ausdruck und beschäftigt sich mit Themen der Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit.
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